Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie
mitgebracht, schöne Kleider. Einmal habe ich ein paar herrliche Schuhe für Thea dabei … mühsam zusammengespart. Komisch, dass mir gerade jetzt diese Schuhe wieder einfallen. Bruno Magli, blau mit einer kleinen silbernen Schnalle. Ich habe auch Erspartes in ein hellblaues Leinenkleid für mich investiert. Es steht mir ausgezeichnet. Dazu ein Hut, ein Strohhut, göttlich!
»Soll ich diese italienischen Schuhe etwa beim Straßenbau tragen?«, schreit Thea. »Beim Wiederaufbau des sozialistischen Staates? Unmöglich, Brigadeführerin zu sein, wenn der personifizierte Kapitalismus zu Besuch kommt. Wie siehst du überhaupt aus mit diesem albernen Hut? Damit will ich nichts zu tun haben!«
Meine Schwester brüllt mich auf offener Straße an, dann wechselt sie in ihren übergroßen Männerstiefeln die Straßenseite …
In den Augen meiner Mutter war meine Tante in Italien zur »brutalen Kapitalistin« mutiert. Sie sparte, um dann das Geld für feine Kleidung oder alte Möbel auszugeben, oder versuchte, es in kleinen Immobilien anzulegen. Wenn sie nach Jugoslawien kam, brachte sie teure Geschenke mit. Meine Mutter, glühende Kommunistin, wollte mit »so etwas« nicht zusammen gesehen werden. Sie lieferten sich die erbittertsten politischen Diskussionen.
»Du warst schon immer feige, Jelka. Ein feiger Mensch. Hast du jemals unserem Vater widersprochen? Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Und deinem Mann? Nie. Lieber ist die stolze Jelka hinterher beleidigt und tyrannisiert einen jeden mit ihrem Beleidigtsein. Wie ich dich dafür verachte! Dich und deine lächerlichen Geschenke, mit denen du später alles wiedergutmachen willst. Du bist eine Kapitalistin und nichts weiter. Und glaubst du wirklich, irgendetwas könnte wieder so werden wie früher?«
»Ach Thea, hör du doch auf mit deinen kommunistischen Parolen. Du bist ein Parteimensch. Wenn du etwas in der Partei gelernt hast, ist es Phrasendreschen. Die Arbeit! Die Partei! Arbeit! Und noch mal Arbeit! Das ist dein Mantra, als gäbe es darüber hinaus nichts anderes auf der Welt. Du bist verkümmert und armselig. Arme kleine Thea. Glaubst du wirklich, man könne die Menschen verändern? Schau dich doch um in deinem Sozialismus, wie armselig ihr hier lebt!«
Die Kämpfe fanden erst ein Ende, als meine Mutter starb. Die Schwestern waren von jeher unterschiedlich gewesen, sich selten einig. Mit der Befreiung aus dem Lager begannen sie, zwei gegensätzliche Lebensmodelle zu verfolgen. Diese Modelle pflegten sie mit einem speziellen Ehrgeiz, konsequent, unerbittlich und unvereinbar. Trug die Tante Kaschmir-Twinsets in klaren Grüntönen, suchte sich meine Mutter Rüschenblusen in Pastell aus, die überhaupt nicht zu ihr passten. Liebte die »Italienerin« das Kochen, speziell ihrer Pastagerichte, aß meine Mutter wochenlang an einer Hühnersuppe, die auf dem Herd vor sich hin köchelte, und sang ein Loblied auf die deutsche Kartoffel. Sonntagnachmittags telefonierten sie regelmäßig, selten verliefen die Gespräche reibungslos und ohne, dass die eine oder andere den Hörer auf die Gabel knallte. Manchmal verloren sie sich in ihrer Kindheit, vergaßen zu streiten. Doch sobald die Sprache auf politische Themen kam, wurde es laut. Thea verteidigte diesen oder jenen politischen Schachzug. Für Jelka gab es im Exjugoslawien nichts mehr zu holen, geschweige denn zu verteidigen. Faschisten oder Kommunisten: Mörder, Verbrecher allesamt.
Einen überaus empfindlichen Punkt stellte die italienischePolitik im Allgemeinen, Berlusconi im Besonderen dar. In den Augen meiner Tante war er ein Mann mit Format, der den »sozialistischen und kommunistischen Machenschaften« ein Ende bereitet hatte. Ein Mann, der die Renten und die Anzahl der nachmittäglichen Soaps im italienischen Fernsehen gleichermaßen anhob, konnte kein schlechter Mann sein. Meine Mutter spuckte am Telefon Gift und Galle, schalt ihre Schwester eine Idiotin und einiges mehr.
»Eigentlich ist deine Tante gar nicht so blöd, wie sie tut, aber bei Berlusconi ist sie auf beiden Augen blind«, sagte sie, wenn sie wieder einmal den Hörer auf die Gabel geknallt hatte und es ihr leidtat.
Als ich auf Anraten meiner Mutter Frauenrecht als Abiturthema wählte, war meine Teta Jele sprachlos. Nicht, dass sie gegen die Rechte der Frauen gewesen wäre, aber darüber reden und dazu öffentlich im Abitur? Gab es nichts Sinnvolleres, zum Beispiel Französisch?
Meine ersten Freunde nahm ich nach Italien mit. Für die Liebe
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