Tochter der Finsternis: Die Chroniken des Magnus Bane (04) (German Edition)
dass James im Serpentine-See ausgerutscht und untergegangen war und keinerlei Anstalten gemacht hatte, wieder an die Oberfläche zu kommen. Er hatte nicht den Eindruck gemacht, als wolle er aus den kalten Tiefen des Wassers gerettet werden: Erst hatte er sich gegen Magnus gewehrt, als dieser ihn an Land gezerrt hatte, und hinterher hatte er seine bleiche Wange auf die feuchte Erde des Seeufers gelegt und die Arme vors Gesicht geschlagen.
Eine Moment lang hatte Magnus gedacht, er würde weinen, aber als er sich bückte, um nach dem Jungen zu sehen, hatte er festgestellt, dass dieser kaum noch bei Bewusstsein war. Nun, da seine grausamen goldenen Augen geschlossen waren, hatte er Magnus einmal mehr an den verlorenen Jungen erinnert, der Will damals gewesen war. Magnus hatte ihm sanft über das nasse Haar gestrichen und so liebevoll, wie er konnte, geflüstert: »James.«
Die bleichen Hände des Jungen hatten gespreizt auf der dunklen Erde gelegen und der glänzende Familienring der Herondales hatte sich stark von seiner blassen Haut abgehoben. Auch unter seinem Ärmel hatte etwas Metallisches hervorgeblitzt. Die Augen waren geschlossen gewesen und seine Wimpern hatten als tintenschwarze Halbmonde auf seinen Wangenknochen geruht. An ihren Enden hatten sich glitzernde Wassertropfen verfangen. Er hatte unglücklich ausgesehen, was er im wachen Zustand besser verbergen konnte.
»Grace«, hatte James im Schlaf geflüstert und war dann wieder verstummt.
Magnus war nicht wütend gewesen: Wenn er so betrunken war, hatte er oft genug selbst nicht mehr gewusst, wer sich gerade um ihn kümmerte. Er hatte sich gebückt und den Jungen hochgehoben. James’ Kopf war zur Seite gekippt und schließlich an Magnus’ Schulter liegen geblieben. Im Schlaf hatte James friedlich und unschuldig ausgesehen – und vollkommen menschlich.
»Das ist doch sonst nicht seine Art«, sagte Will und riss Magnus aus der Erinnerung, während Tessa gerade eine Decke über den Jungen breitete und um ihn herum feststeckte.
Magnus hob eine Augenbraue. »Er ist dein Sohn.«
»Was soll das heißen?«, fragte Will scharf. Seine Augen blitzten auf und für einen Moment sah Magnus wieder den Jungen mit dem zerzausten schwarzen Haar und den funkelnden blauen Augen, wie er damals in seinem Salon vor ihm gestanden war: voller Wut auf die ganze Welt, zu der er sich genauso wenig zugehörig gefühlt hatte wie Magnus selbst.
»Das ist nicht seine Art«, stimmte Tessa zu. »Er war immer so still, so nachdenklich. Lucie war die impulsivere von beiden, aber sie sind beide liebe, herzensgute Kinder. Auf Partys saß Jamie meistens in irgendeiner Ecke, wo er entweder in sein Lateinbuch vertieft war oder sich mit seinem Parabatai über einen Witz schieflachte, den nur sie beide verstanden. Er hat Matthew immer aus allem Ärger rausgehalten, so wie sich selbst auch. Er war der Einzige, der diesen faulen Burschen zum Lernen bewegen konnte«, erzählte sie mit einem leisen Lächeln, das besagte, dass sie den Parabatai ihres Sohnes sehr mochte, was auch immer er für Fehler haben mochte. »Jetzt ist er ständig unterwegs, stellt die unmöglichsten Dinge an und lässt überhaupt nicht mehr mit sich reden. Er hört auf niemanden. Ich weiß, was Sie mit Ihrer Bemerkung über Will gemeint haben, aber Will war einsam und tief unglücklich und hat sich deswegen so danebenbenommen. James dagegen war sein ganzes Leben von Liebe umgeben.«
»Verrat!«, brummte Will. »Erst werde ich von einem Freund aufs Übelste verleumdet und jetzt zieht auch noch meine eigene hochgeschätzte Gattin meinen Namen in den Dreck …«
»Ich sehe, du hast deinen Sinn für Theatralik nicht verloren, Will«, bemerkte Magnus. »Genau wie dein gutes Aussehen.«
Sie waren erwachsen geworden. Keiner von ihnen schien im Geringsten erstaunt. Tessa hob die Augenbrauen und in dieser kleinen Bewegung erkannte Magnus die Ähnlichkeit zu ihrem Sohn. Sie hatten beide die gleichen ausdrucksvollen geschwungenen Brauen, die ihren Gesichtern einen fragenden und gleichzeitig belustigten Zug verliehen. In James’ Gesicht hatte dieser allerdings etwas Verbittertes.
»Würden Sie bitte aufhören, meinem Mann ständig Avancen zu machen?«, schmunzelte Tessa.
»Niemals«, verkündete Magnus. »Ich werde allerdings eine kurze Pause einlegen, damit ihr mich auf den neuesten Stand der Dinge bringen könnt. Ich habe nichts mehr von euch gehört, seit ihr mir geschrieben habt, dass euer kleiner Sohn auf die Welt gekommen
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