Tochter der Hoffnung (German Edition)
dass sie einmal in eine andere Welt reisen würde und dort von Männern in schwarzer Kleidung gejagt werden würde. Mit zitternden Händen und dem Mut der Verzweifelten legte Ailish sich das Kraut erneut auf die Zunge und fing zaghaft an zu kauen.
„Langsam kehrt deine Erinnerung zurück.“ Erschrocken schaute Ailish sich um und entdeckte die Frau, die neben ihr auf der Bank saß. Sie trug die gleiche Kleidung wie in der Glasbläserei.
„Bin ich tot?“ Mit ausdruckslosem Gesicht wartete Ailish auf ihre Antwort. „Nein, das bist du nicht. Zuerst sollte ich dir vielleicht etwas erklären. Als du diese, also meine Welt, als Kind verlassen hast, wurde ein starker Zauber ausgesprochen. Dieser besagte, dass du dich an nichts erinnern wirst, ehe du nicht bereit dazu seist. Dementsprechend war deine Zeit noch nicht gekommen, deine dir bekannte Welt zu verlassen. Ich denke, dass Alasdair es geschafft hat, dich früher hier her zu führen. Was du gerade erlebt hast, war tatsächlich eine Erinnerung an die Vergangenheit. Wahrscheinlich wird deine Erinnerung erst nach und nach wiederkehren. Doch bevor ich dir genau erklären kann, worin deine Aufgabe, deine Bestimmung liegt, musst du eigenständig noch einige Dinge lernen.“ Frustriert strich Ailish sich durch die Haare und schaute sich in der Umgebung um. Die Bank, auf der sie saßen, stand vor einer Holzhütte, die der glich, in der sie sich mit Liamh versteckte. Die Bäume um sie herum waren noch etwas kleiner als jetzt und die Hütte selbst befand sich auch in einem besseren Zustand. „Aber wieso kann ich mich an Liamh erinnern, aber nicht an die Zeit, bevor man mich gefunden hat?“
„Nun, das hat den einfachen Grund, dass ihr eine sehr starke Verbindung zueinander zu haben scheint. Alles und jeder, ob Tier, Mensch oder Universum, ist miteinander verbunden. Ihr Beide habt den Kontakt auch über diese Trennung der zwei Welten beibehalten. Der Zauber bezog sich auf alles, was du vor dem Übergang in die andere Welt erlebt hast. Doch trotz allem hattest du bestimmte Träume, die die Vergangenheit widerspiegelten. Du warst schon immer eine starke Persönlichkeit und hast dich noch nie von etwas unterkriegen lassen.“ Mit einem traurigen Lächeln strich die Frau eine Strähne aus Ailish`s Gesicht. „Wer seid ihr?“ fragte Ailish mit leiser Stimme.
„Das kann ich dir leider noch nicht verraten. Wenn ich das jetzt täte, würdest du es sofort wieder vergessen, sobald du aufwachst. Aber der eigentliche Grund, warum du dich des Aisling-Krautes bedient hast, ist der, dass du wissen möchtest, wie du den jungen Mann heilen kannst. Aisling bedeutet in deiner Welt Fantasie oder auch Tagtraum. Es ermöglicht den Menschen, einen Trancezustand zu erreichen, in denen sie Erinnerungen abrufen können oder auch Kontakt mit Toten aufnehmen können. Gib mir deine Hand und schließe deine Augen, ich werde versuchen, dir zumindest ein wenig deiner Erinnerung zurück zu geben.“ Zögernd reichte Ailish der anderen Frau Ihre rechte Hand und schloss gehorsam die Augen. „Versuche nun daran zu denken, dass du Liamh retten möchtest, dass er nicht sterben soll.“
Eine wohlige Wärme umgab sie, als sie die Augen wieder öffnete, saß sie in einem riesigen Raum, der mit Pflanzen und vielen Tischen und Stühlen voll gestellt war. Sie selbst saß in einem Stuhl, der viel zu groß für sie war und schaute auf einen Holztisch, auf dem mehrere Pflanzen und Kräuter ausgebreitet waren. Ein Mann lief vor ihr auf und ab, seine grauen Haare hatte er zu einem Zopf nach hinten gebunden. Mit einem langen Stock zeigte er auf eine der Pflanzen auf dem Tisch und fragte, wie es hieß und wofür man es verwendete. Als sie die Hand nach der Pflanze ausstreckte, fiel ihr auf, dass diese Hand ganz klein war, sie musste also sehr jung sein. Auf das verärgerte Räuspern des Mannes hin versuchte sie, sich an das gelernte zu erinnern. Zögernd begann sie zu erzählen und nach und nach wiederholte sich das mit jeder Pflanze und jedem Heilkraut auf dem Tisch. Zufrieden nickend stand der Mann vor ihr und lächelte ihr freundlich zu. Nachdem er sich kurz umdrehte, um einer Frau etwas zu berichten, die soeben den Raum betreten hatte, legte Ailish ihren Kopf auf den Tisch. Sie war auf einmal so müde.
Als Ailish das zweite Mal ihre Augen öffnete, befand sie sich in der Hütte und lag ausgestreckt auf dem kalten Boden. Mittlerweile fing es draußen schon an zu dämmern und dunkle Schatten durchzogen den Raum.
Weitere Kostenlose Bücher