Tochter der Insel - Historischer Roman
entdeckt habe!« Er nickte ihr bedeutungsvoll zu. »Ich habe uns gebackene Hühnchen mit Kartoffeln und Salat bestellt.«
Als das Essen serviert wurde, gab Lea ihrem Großvater das Medaillon zurück. Er ließ es wieder in den Beutel gleiten und sie aßen schweigend. Trotz der Aufregung und der vielen Gedanken, die ihr durch den Sinn schossen, genoss Lea die Mahlzeit. Sie hatte seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen. Schließlich schob sie den Teller zurück, der gleich darauf von fleißigen Händen entfernt wurde. Kaspar Steinberg prostete ihr zu.
»Erzähle mir von damals, als ihr jung ward«, bat Lea ihn.
»Nun, Cecilia war Italienerin. Ich habe sie auf einer Reise kennengelernt und mich verliebt. Wir heirateten noch auf dem Schiff. Es war ein Geistlicher an Bord und wir fanden all das wunderbar romantisch. Von Haus aus waren wir beide nicht unvermögend. Ich hatte ein Weingut von meinem Vater geerbt, auf dem wir später lebten. Es lag in der Pfalz, oberhalb eines Bauerndorfes. Ein Verwalter kümmerte sich um alles. Viele Leute aus dem Dorf arbeiteten in meinen Weinbergen. Mir selbst wäre das nie in den Sinn gekommen, ich kannte es ja nicht anders, als dass die Leute im Dorf unsere Knechte waren.
Ich lebte für Cecilia und meine Studien, verbrachte lange Stunden in der großzügigen Bibliothek unseres Hauses und lud mir ab und zu Gelehrte ein, die mich unterrichteten, oder ging auf Reisen. Einmal im Jahr fuhren wir für zwei Monate nach Italien.
Cecilia verbrachte ihre Zeit mit Malen. Ihre Bilder waren wunderschön. Sie hatten etwas ganz Eigenes und wurden bald berühmt. Es galt als chic, einen Steinberg zu besitzen, was uns die Türen der wirklich Reichen öffnete. Nicht nur unser Ansehen stieg, auch unser Wein war plötzlich begehrt.
Auf unserem Gut lebten wir sehr zurückgezogen, als wären wir die einzigen Menschen weit und breit. Abgesehen von den Reisen und kleinen Ausflügen in die Welt der Kunstliebhaber verlief unser Leben in müßigen Bahnen. Wir waren damals zweifellos sehr egoistisch. An die Arbeiter in den Weinbergen oder die Armut der Welt verschwendeten wir keine Gedanken. Es schien unser Recht zu sein, so und nicht anders zu leben.
Eine wunderbare Köchin versorgte uns mit Speisen aus aller Herren Länder und mehrere Gärtner verwandelten die Anlagen um das Anwesen in einen Lustgarten. An warmen Tagen ließ sich Cecilia einen Korb mit Leckereien packen und wir machten Ausflüge zu zweit.« Er schloss die Augen. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht, das sich bei dem Gespräch entspannt hatte.
»Merkwürdig, wie genau ich mich noch daran erinnern kann. Wir glaubten wirklich, unser Leben würde so weitergehen, so unbeschwert bleiben und von Leid verschont werden. Doch dem war nicht so.«
Ein tiefer Seufzer entrang sich ihm. Kaspar Steinberg stand auf, stellte sich ans Fenster und blickte auf den Fluss hinunter. Lea trat neben ihn.
Schließlich fuhr der alte Mann fort. »Als Cecilia mir erzählte, dass sie schwanger sei, war ich der glücklichste Mensch auf der Welt. Unser Kind – das schien der Gipfel unserer Träume. Wir suchten ein Zimmer für den neuen Erdenbürger aus, bestellten Stoffe, eine Wiege und ließen bunte Vorhänge aufhängen. Doch dann geschah das Unglück. Cecilia, immer schon wirbelig und umtriebig, wollte auch während der Schwangerschaft nicht auf gemeinsame Ausflüge verzichten.
Eines Tages, sie war im achten Monat, bat sie mich inständig darum, noch einmal mit ihr einen der umliegenden Berghügel zu erklimmen. Es war der, auf den wir so oft schon hinaufgewandert waren. Ich appellierte an ihre Vernunft, doch ohne Erfolg. Sie versprach mir, dies sei dann auch wirklich der letzte Ausflug.
Und er wurde es, im wahrsten Sinne des Wortes. Als wir die Anhöhe erreichten und Arm in Arm ins Tal hinunterblickten, lösten sich Felsbrocken unter unseren Füßen und rissen uns in die Tiefe. Während ich mir nur einige Abschürfungen und diese Verletzung im Gesicht zuzog«, er deutete auf die Narbe, »hatte es Cecilia härter getroffen. Sie blutete aus tiefen Wunden. Ich bettete sie auf ein Lager aus Jacken und Decken und rannte ins Dorf, um Hilfe zu holen. Doch als ich mit dem Arzt zurückkehrte, war Cecilia schon tot. Während ich völlig außer mir war und Gott und die Welt verfluchte, rettete der Arzt mit einem beherzten Schnitt meinem Sohn das Leben.«
Lea sah ihren Großvater besorgt an. Der alte Mann ballte die Hände zu festen Fäusten, seine Fingerknöchel wurden
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