Tochter der Insel - Historischer Roman
Zier dich nicht so!«
Bell stand hinter dem Schanktisch. Sie trug das neue Kleid, ihre Hände steckten in fingerlosen Seidenhandschuhen. Das helle Haar hatte sie zu Korkenzieherlocken gedreht. Bell wirkte wie ein Engel und strahlte eine ansteckende Fröhlichkeit aus.
»Dieser lange Kerl hier heißt Joe.« Bell tippte einem jungen Farbigen auf die Schulter, der dabei war, Gläser zu spülen.
»Und dort drüben, die attraktive Frau, die den Kartenspielern über die Schulter schaut, das ist Dorothy.«
»Was höre ich? Attraktive Frau?« Die Inhaberin des Saloons kam zu ihnen herüber und reichte Lea die Hand. »Ich bin zu alt zum Tanzen, zum Singen und zu noch einigem mehr. In meinem Alter verschafft einem eine Pistole den größten Respekt.« Sie zeigte auf die Waffe, die gewichtig an ihrer Hüfte baumelte.
Der Mann am Klavier war in sein Spiel versunken, eine träge Melodie klang durch den Raum. An einem der Tische spielten vier Männer Karten, während doppelt so viele weiter hinten an der Bar saßen.
Einige Gäste betraten das Lokal, Bell nahm ihre Bestellungen auf. Lea hörte an ihren Gesprächen, dass die Neuankömmlinge, wie jeder Zweite in der Stadt, Landsmänner waren. In St. Louis gab es Germantowns wie Baden und Bremen, in denen ausschließlich Deutsche lebten.
Das macht es für Bell um einiges leichter, dachte Lea.
Die neue Sprache bereitete Bell genauso wie ihr selbst noch große Schwierigkeiten.
Während die Freundin den Männern einschenkte, beugte sich einer zu ihr vor. Lea hörte ihn fragen: »Sie sind neu hier, nicht wahr? Wie heißen Sie?«
»Bell.«
»Ein hübscher Name. Und ein noch hübscheres Gesicht. Was hat Sie hierher verschlagen, meine Liebe?«
»Das Christkind hat mich gebracht, damit St. Louis auch einen Engel hat.«
Der Mann lachte lauthals und nickte Bell anerkennend zu. Auch Lea musste schmunzeln. Bell würde nicht lange brauchen, um sich in dieser Stadt heimisch zu fühlen.
Als die Männer versorgt waren, kam sie zu Lea herüber. »Heute Nachmittag habe ich zusammen mit Roy ein Lied einstudiert.« Sie nickte unauffällig in Richtung des Klavierspielers. »Man soll es nicht für möglich halten, doch er ist richtig gut. Am nächsten Samstag wollen wir es auf der Bühne vorstellen. Dorothy ist ganz begeistert und meint, es wird die Gäste nur so ins Lokal strömen lassen. Ach Lea, ich freue mich schon darauf.«
Dorothy, die ihre Augen überall hatte, zupfte Bell am Ärmel. »Meine Liebe, die Herren dort drüben wollen Pokern, und wie ich sehe, fehlt ihnen ein Mitspieler. Was meinst du?«
»Nur zu gerne!«
Lea verabschiedete sich rasch.
»Soll Joe dich begleiten oder schaffst du es alleine?«, fragte Bell besorgt.
Lea lächelte ihr beruhigend zu. »Danke, aber ich denke, zu dieser frühen Zeit brauche ich keinen Aufpasser. Es ist ja nicht weit.«
Lea zog erleichtert die Tür des Paradies hinter sich zu . Auf der Straße atmete sie tief durch. Für Bell mochte dieses Etablissement das Richtige sein, doch sie könnte dort niemals glücklich werden.
3.
In der Prärie
Sommer/Herbst 1854
1
H atte Lea schon auf der Fahrt nach St. Louis ihre Ungeduld kaum zügeln können, so schien ihr jetzt die kurze Reise nach Quincy endlos zu dauern. Vielleicht lag es daran, dass ihr die Zerstreuung durch Bell fehlte. Der Abschied war ihnen schwergefallen. Doch Bell hatte versprochen, sie bald auf der Farm zu besuchen.
Quincy lag über einem Steilufer und war in einen oberen Stadtteil auf dem Hügel und einen unteren am Fuß der Anhöhe unterteilt. In der Ferne konnte Lea malerische Erhebungen ausmachen, die mit Wald bedeckt schienen. Ihr erster Eindruck von der Stadt selbst war der eines riesigen Ameisenhaufens. Über den Türen der unzähligen Läden hingen bunte Schilder mit Namen. Schmale Straßen, auf denen beständig Karren und Kutschen fuhren, durchzogen die Stadt.
Nachdem sich Lea ein Quartier gesucht hatte, beschloss sie, einen Erkundungsgang zu machen. In einigen Stadtteilen schienen, wie schon in St. Louis, ausschließlich Deutsche ansässig zu sein. Lea erkannte es an der gut lesbaren Beschilderung der Warenhäuser. Hier wurden Pflüge, Kutschen, Öfen, Möbel und Bier verkauft.
Immer wieder hatte sie Rebekkas Briefe gelesen und fand sich anhand der Beschreibungen erstaunlich gut zurecht. Auch der Platz, von dem aus Planwagen in die Prärie aufbrachen, ließ sich ohne Schwierigkeiten finden.
An einem Balken, der dem Anbinden von Pferden diente, lehnte eine Gruppe
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