Tochter der Insel - Historischer Roman
Deutsche und Holländer priesen Backwaren und Wurst an. Kinder drängten sich um die exotischen Stände der Sumpfbewohner, die Tierfelle und Schlangenhäute ausgebreitet hatten.
Ein Plakat an einem der größeren Gasthäuser erregte Leas Aufmerksamkeit. Sie blieb stehen und versuchte, den Text zu entziffern, es gelang ihr jedoch nicht.
»Kommen Sie nur herein.« Lea erkannte einen der Passagiere. Er nickte zum Eingang der Gaststube. »Wer weiß, ob wir jemals wieder Gelegenheit haben, so etwas zu sehen. Es ist ein Teil des Südens.«
Lea folgte ihm zögernd. Stühle, von denen die meisten besetzt waren, standen in Reihen vor einer Bühne. In den Gängen dazwischen liefen Männer hin und her. Andere waren in Gespräche vertieft.
Ein Mann in dunklem Anzug betrat das Podest. »Meine Herrschaften, bitte begeben Sie sich auf Ihre Plätze. Wir beginnen.«
Erst jetzt bemerkte Lea die Gruppe Farbiger, die vor der Bühne warteten. Sie hielten die Köpfe gesenkt. Und plötzlich begriff Lea. Hier, mitten in den belebten Straßen von New Orleans, wurden Menschen verkauft!
Der Mann in Schwarz winkte gebieterisch eine der Frauen zu sich auf die Bühne. Sie war groß, schlank und trug ein graues Leinenkleid.
»Unser erstes Angebot, meine Herren. Wie viel ist Ihnen diese junge Negerin wert? Ihr Name ist Belinda. Sie ist zweiundzwanzig Jahre alt.«
Das Gesicht der Frau war ausdruckslos. Sie schaute, die Arme eng an den Körper gepresst und den Kopf hocherhoben, abwesend über die Köpfe der Menge hinweg.
»Nun, wie viel wird geboten? Belinda kann kochen und waschen. Sie hat sich in ihrem alten Haushalt um die Pflege ihres Herrn gekümmert. Er war alt und ist gestorben. Nur deshalb kann ich sie Ihnen heute anbieten.«
Lea spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Sie sah, was da geschah, konnte es aber nicht glauben. Ihre Hände schlangen sich verkrampft ineinander, ihr Mund war ausgetrocknet. Die junge Frau strahlte einen Stolz aus, der Lea anrührte. Sie spürte, wie ihr eine Träne über die Wange rann. Und dann, für den Bruchteil eines Herzschlags, traf sich ihr Blick mit dem der Farbigen. Die Maske aus Stolz fiel, und Lea las Verzweiflung in den dunklen Augen, abgrundtiefe Verzweiflung, Hass und Resignation. Am liebsten wäre Lea nach vorn gelaufen, hätte die junge Frau bei der Hand genommen und von der Bühne gezogen.
Die Stimme des Ausrufers klang wie durch einen Nebel zu ihr herüber. »Diese Negerin ist jung und kerngesund. Wenn Sie einen männlichen Sklaven besitzen, dann wäre sie auch eine gute Anlage für die Zukunft. Schauen Sie nur: dieser Wuchs, diese Haltung. Zudem ist sie arbeitsam und gehorcht aufs Wort. Also, was höre ich?«
Das Bieten der Männer begann. Die routinierte Stimme des Auktionsleiters verursachte Lea Übelkeit. Sie sprang auf, rannte aus der Gaststube und blieb schließlich schwer atmend in der Nähe eines Kaffeehauses stehen.
Als Lea sich gefasst hatte und feststellte, dass sie nicht mehr wusste, wo sie sich befand, bog zu ihrer großen Erleichterung Bell um die Ecke.
»Lea, was tust du hier? Was ist passiert?«
Nachdem sie der Freundin alles erzählt hatte, schlug Bell vor, etwas trinken zu gehen. Sie ergriff Leas Arm und führte sie in das Kaffeehaus.
»Wie findest du meine Neuerwerbung?«, versuchte Bell sie abzulenken und packte ein dunkelblaues Kleid aus schimmernder Seide aus. Lea hatte kaum einen Blick dafür. Ihre Gedanken waren immer noch bei der Auktion.
»Ich habe mir Amerika anders vorgestellt. Hier sollte doch alles besser und gerechter sein! Doch dann sah ich gestern schon diese armen Gestalten, die Bettler und Säufer am Hafen und heute nun die Sklaven. Man behandelt sie nicht wie Menschen. Es ist barbarisch.«
»Ich weiß.« Bell setzte die Tasse ab. »Ich bin kein Freund der Sklaverei, aber hier ist es ein Teil des Lebens, etwas ganz Selbstverständliches. Wir sind Fremde, Lea, und müssen uns dem anpassen.«
»Bell, das kann doch nicht dein Ernst sein. Wir sollen uns damit abfinden, dass Menschen verkauft werden? Ich kann das nicht. Im Gegenteil. Am liebsten hätte ich mich vor dem Auktionshaus auf ein Fass gestellt und herausgeschrien, was ich von alledem halte. Ich war so wütend und so machtlos … «
»Lea, wie willst du von einem Tag auf den nächsten ändern, was die Menschen hier seit Generationen für richtig halten?«
»Du nimmst das alles in Schutz?«
»Nein. Ich bin, wie gesagt, gegen die Sklaverei. Aber ich versuche zu verstehen.«
»Oh Bell, lass
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