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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Ich, Papageno! Und ich soll mich den Prüfungen der Priester unterziehen. Ich – und Prüfungen!«
    Der Vogel-Mann schien völlig fassungslos zu sein. »Genauso gut könnten sie mir sagen, ich soll Priester werden oder etwas Ähnliches. Was habe ich denn hier verloren?«
    Tamino wußte nicht genau, ob Papageno diese Frage ihm stellte oder von den schweigenden Göttern eine Antwort verlangte. Doch der Halbling sah ihn erwartungsvoll an, als vertraue er darauf, daß Tamino die Frage beantworten kön-ne. Sollte er gestehen, daß er ebenso verwirrt war wie Papageno? Oder sollte er, wie man es von einem Prinzen erwartete, den Vogel-Mann ermahnen, durchzuhalten und mutig zu sein, wie man ihm geraten hatte?
    Tamino fiel eine Frage ein, die die Priester ihm gestellt hatten, als sie über seine Eignung für die Aufnahme in ihre Bruderschaft entschieden. Bist du bereit, jeden Mann, unabhängig von Rang und Geburt, als Bruder zu behandeln?
    Tamino wußte nicht, ob sich das auch auf Halblinge bezog, die vermutlich keine Menschen waren.
    Aber wenn es darum ging, wäre ihm Papageno – Mensch oder nicht Mensch – als Bruder lieber gewesen als manche Männer am Hof seines Vaters. Der kleine Vogel-Mann war wenigstens freundlich und ohne Arg.
    Tamino erwiderte: »Das frage ich mich auch… ich meine, was ich hier tue. Im allgemeinen…« Tamino sprach langsam, als suche er jedes einzelne Wort, »… glaube ich, folge ich meinem Schicksal, wohin es mich auch führt. Ich habe auch nie mehr darüber nachgedacht als du, und das ist die Wahrheit.«
    Papageno klang enttäuscht, als er sagte: »Ihr seid ein Prinz, und ich habe felsenfest geglaubt, daß Ihr wißt, was Ihr tut.
    Und Ihr wollt mir erzählen, daß Ihr einfach so dahinlebt wie ich und tut, was man Euch sagt?«
    »Ein Prinz ist auch nur ein Mensch, Papageno.« Und Tamino dachte bei sich: Wenn ich je daran gezweifelt habe, so belehrt mich diese Reise eines Besseren. »Mein Vater ist der Kaiser des Westens, und alle Menschen sind verpflichtet, ihm zu gehorchen. Selbst seine Söhne. Seine Söhne ganz besonders, denn sie sollen anderen ein gutes Beispiel geben.«
    »Oh!« Tamino begriff, daß dies eine neue Vorstellung für Papageno war. »Ich habe immer geglaubt, Prinzen seien etwas anderes. Was hat man davon, ein Prinz zu sein, wenn man doch wie alle anderen gehorchen muß?«
    Das ist eine gute Frage, dachte Tamino. Allerdings überraschte es ihn, daß Papageno sie stellte. Er war nur allzu bereit gewesen, den Halbling als unklug abzutun. Sicher, der Vogel-Mann war einfältig, doch wenn es um ernsthafte Dinge ging, erwies er sich keineswegs als Narr und besaß eine unglaubliche Fähigkeit, die richtigen Fragen zu stellen.
    »Das weiß ich auch nicht, Papageno. Vielleicht nichts.« Erleichtert stellte Tamino fest, daß Papageno seine Federn schüttelte und offensichtlich auf einen anderen Gedanken gekommen war.
    »Ich möchte gerne wissen, wann es hier Frühstück gibt.«
    »Auch das weiß ich nicht, Papageno. Vielleicht gehört das Fasten zu den Prüfungen.«
    »Ich habe gleich gewußt, daß die Prüfungen nichts für meinesgleichen sind«, murrte Papageno. »Das Essen ist ganz gut hier, aber die Mahlzeiten sind viel zu selten.«
    »Gib die Hoffnung nicht auf«, tröstete Tamino ihn lachend.
    »Schau dir den Himmel an. Die Sonnenaufgangszeremonien sind bestimmt noch nicht zu Ende. Vielleicht beschließen sie danach, daß wir ein Frühstück verdient haben. Jedenfalls bin ich sicher, daß sie uns früher oder später etwas zu essen bringen. Du kannst doch noch nicht so hungrig sein.«
    »Oh, doch. Wenn ich mich fürchte, bekomme ich immer Hunger«, schimpfte Papageno.
    Natürlich blieb beiden nichts anderes übrig, als zu warten, und wenigstens darin waren sie gleich. Es war heller Tag.
    Dann verdunkelten Wolken die Sonne, und nach einiger Zeit hörte Tamino Donnergrollen und sah auch einen Blitz. Tamino mußte daran denken, wie die Damen der Sternenkönigin mit einem Donnerschlag verschwunden waren. Es regnete in Strömen, und Papageno jammerte: »Sie haben uns vergessen.«
    ∗ ∗ ∗
    »Das glaube ich nicht«, beruhigte ihn Tamino. »Früher oder später werden sie schon kommen.«
    »Vermutlich später«, sagte Papageno leise und begann auf seiner Lockpfeife zu blasen.
    Doch die Wolken verzogen sich, und die Sonne fiel wieder auf den Boden, und schließlich hörten sie das Geräusch nä-
    herkommender Schritte.
    »Wir haben Glück«, rief Papageno, »vielleicht gibt es jetzt

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