Tochter der Nacht
voller Schmerz. Er kauerte im gleißenden Licht auf dem Boden, und vor ihm stand majestätisch die Sternenkö-
nigin.
»Mutter!« rief Pamina.
Das Gesicht der Sternenkönigin wirkte unter dem Kopfschmuck aus Eulenfedern blaß und kalt. Ihre Augen funkelten wie Sterne. Schluchzend warf sich Pamina in die Arme ihrer Mutter und spürte, wie sie sich einen Augenblick be-sitzergreifend um sie schlossen. Doch dann glaubte sie, sich getäuscht zu haben, denn die Stimme ihrer Mutter klang kalt und unbeteiligt wie immer.
»Hat er dich verletzt, Pamina, oder nur erschreckt?«
Zitternd richtete Pamina sich auf. Das weiße Gewand hing in Fetzen an ihr herunter. Die Handgelenke schmerzten, und ihre Lippen bluteten. Sie fühlte sich krank und beschmutzt von seinen Küssen, von seinen gierigen Augen, die sich an ihrem nackten Körper geweidet hatten.
»Nur… nur erschreckt«, antwortete Pamina und hörte, wie ihre Stimme zitterte.
Die Sternenkönigin betrachtete stirnrunzelnd das zerrissene weiße Gewand. »Das kannst du nicht mehr tragen, Liebes«, sagte sie. Die Worte klangen zwar sanft, doch Pamina zuckte unter der Verachtung zusammen, die in der Stimme lag.
»Such dir ein anständiges Gewand und ziehe es über. Ich habe dir viel zu sagen. Ich hätte geglaubt«, fügte sie mit bei-
ßendem Hohn hinzu, »im Haus des Sarastro würde man dich besser beschützen…«
Pamina wollte erklären, daß Sarastro keine Schuld traf, daß er Monostatos hatte auspeitschen lassen, weil er sich schon einmal gegen ihren Willen genähert hatte. Aber ein Blick in das Gesicht ihrer Mutter riet ihr zu schweigen.
In einer Truhe fand sie ein weites, seidenes Gewand, das sie überzog. Jetzt fühlte sie sich besser. In der zerrissenen Tunika war sie sich selbst vor den Augen ihrer Mutter nackt und schutzlos erschienen.
»Komm her und hör mir gut zu«, sagte die Sternenkönigin,
»denn wir haben nicht viel Zeit. Du siehst…«, sie bewegte kaum merklich den Kopf in Richtung der zusammengekau-erten Gestalt, um ihren Abscheu anzudeuten, »was hier aus dir wird.«
Pamina öffnete den Mund, um ihr zu widersprechen, denn Sarastro trug sicher keine Schuld daran. Doch die kalten Augen ihrer Mutter ließen sie unsicher werden. Vielleicht war dies ihre erste Prüfung gewesen? Gehorsam, wie sie es von Kindheit an gewohnt war, setzte sich Pamina auf den Rand des schmalen Bettes, faltete die Hände im Schoß und sah zu ihrer Mutter auf.
»Wo ist der junge Mann, den ich geschickt habe, um dich zu retten?«
»Er wartet bei den Priestern des Sarastro auf seine Prü-
fungen.«
»Das ist schlimmer, als ich befürchtete«, erwiderte die Sternenkönigin düster, »und wenn Sarastro und seine Priester mich hier entdecken, werden sie mich töten, denn hier besitze ich keine Macht.«
»Ich werde nicht zulassen, daß sie dir etwas antun«, versicherte ihr Pamina, »niemand tut mir hier etwas zuleide, Mutter. Und wenn ich bei dir bin, werden sie auch nicht wagen, Hand an dich zu legen.« Sie schluckte, »laß uns zusammen von hier fliehen, Mutter.«
»Dazu ist es nun zu spät«, erwiderte die Sternenkönigin und griff in die Falten ihres Gewandes. »Nimm das.«
Sie drückte Pamina einen Dolch in die Hand.
»Du wirst dich Sarastro bei den Zeremonien nähern und ihn damit töten.«
»Wie?« rief Pamina voll Entsetzen, »ich soll meinen Vater töten? Das kannst du doch nicht wirklich wollen!«
»Sei still!« herrschte die Sternenkönigin Pamina an, »die Priester der Sonne und Sarastro verachten mich seit vielen Jahren, und ich habe es erduldet. Doch heute habe ich beschlossen, daß du mich rächen sollst. Du bist meine Tocher, Pamina. Und Blutsbande binden Mutter und Tochter. Du wirst Sarastro töten, noch ehe die Sonne aufgeht, oder mir nie mehr unter die Augen treten und es wagen, mich noch einmal Mutter zu nennen! Höre meine Worte, vergiß sie nicht und gehorche, Pamina, oder du bist nicht länger meine Tochter!«
»Aber… Mutter, nein! Mutter, ich bitte dich… hör zu…«
»Kein Wort mehr!« Blitze umzuckten die Sternenkönigin, als sie mit versteinertem Gesicht vor Pamina stand. Dann verschwand sie mit einem Donnerschlag, und nur das schweigende Mondlicht fiel in den Raum. Pamina sah sich fassungslos um.
»Mutter…«, flüsterte sie. Hatte sie geträumt? Nein, ihre Finger umklammerten den Griff eines Dolchs.
»Nein«, flüsterte sie ungläubig, »ich soll meinen Vater tö-
ten?« Sie wußte, die Sternenkönigin haßte Sarastro. Unter dem
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