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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Stadt verschwamm vor ihren Augen. War sie denn wirklich so nahe?
    Pamina hörte vor den Tempelmauern heiseres Gebell. Ein junger Hunde-Halbling rannte rufend durch eine schmale Gasse; leises, lockendes Winseln ertönte, und sie entdeckte eine junge Hunde-Frau. Der Hunde-Halbling blieb stehen, erwiderte das Winseln, lief zurück, packte die Frau und zerrte sie in den Staub. Sie beschnüffelten sich, umkreisten sich und lagen dann bellend und stöhnend auf dem Boden. Ein Vorübergehender schimpfte, weil sie ihm den Weg versperrten, und versetzte ihnen einen Fußtritt, doch ineinanderver-schlungen, hatten sie alles um sich herum vergessen.
    Natürlich! So machten es Hunde-Halblinge eben! Und das war gut so, weil man dadurch genügend Halblinge für die Opfer hatte. Was hätte man sonst tun sollen, wenn diese Quelle versiegte? Pamina hatte auch gelernt, daß es ein Verbrechen sei, gegen den Willen der Götter die Paarung der Hunde-Halblinge zu verhindern, weil man sie dann um ihre Opfer betrog.
    Aber wenn die Götter keine Opfer brauchten… Pamina meinte, der Kopf müßte ihr zerspringen. Und aus irgendeinem Grund schämte sie sich für die junge Hunde-Frau. Hätte man ihnen wirklich nichts anderes beibringen sollen, als sich brünstig im Straßenstaub zu wälzen? Sicher gab es für sie eine bessere Aufgabe. Und ihre Schwester Kamala… Pamina hatte gehört, wie sie mit der unersättlichen Lust der Stier-Halblinge geprahlt hatte, die man manchmal züchtigen muß-
    te, damit sie taten, was man von ihnen erwartete. Damals empfand Pamina nur Ekel und hatte sich geschworen, sich nie zu solchen Dingen herzugeben. Doch erst jetzt, in diesem Augenblick, empfand sie Scham für ihre Schwester.
    Ähnlich hatte sie auch Monostatos gepackt, wild und unge-stüm, ohne sich darum zu kümmern, ob sie wollte oder nicht.
    Pamina spürte, wie ihr die Schamröte ins Gesicht stieg.
    Hatte sie das auch von Tamino erwartet oder gewünscht?
    Pamina sah ihn wieder vor sich, im schlichten weißen Gewand der Novizen, wie er entschlossen ihren Blick vermied und auf der Flöte spielte, die sie ihm überbracht hatte. Tamino spielte, als hoffte er, die Töne könnten ihr etwas mittei-len. Warum hatte sie es nicht sofort erraten? Das Gewand des Novizen hätte es ihr sagen müssen – dies war eine Art Prüfung oder Herausforderung, der er sich stellen mußte.
    Zweifellos hatte man ihm verboten, mit ihr zu sprechen oder sie zu berühren, und er unterzog sich gehorsam der gestellten Aufgabe. Jetzt, als sie Taminos Gesicht wieder deutlich vor sich sah, entdeckte Pamina die Qual darin, begriff, wie er sie angefleht hatte, ihm zu vertrauen, und sie hatte ihn enttäuscht. Sicherlich hatte sie wieder bei einer Prüfung versagt. Und vielleicht hatte sie Tamino jetzt für immer verloren. Wie konnte sie sich auch nur so töricht be-nehmen?
    Paminas Hand umklammerte den Dolch. Alles hatte sie verloren – alles, nur das nicht.
    »Nein«, hörte sie eine Stimme hinter sich, »er ist auch nicht für dich bestimmt. Hast du gesehen, weshalb du hier her-aufgestiegen bist, meine Tochter? Und verstehst du nun?«
    Pamina drehte sich um und sah Sarastro vor sich.
    »Oh, Vater, warum habe ich das erst jetzt gesehen? Und warum…?« Pamina traute plötzlich ihren Sinnen nicht mehr. »Warum liegt die Stadt meiner Mutter so nahe? Wie war es möglich, daß ich von dort niemals den Tempel des Lichts gesehen habe, weder vom Palast aus, noch wenn ich mit der Prozession durch die Straßen zog?«
    »Unter anderem deshalb, weil du nicht danach Ausschau gehalten hast«, erwiderte Sarastro lächelnd und streckte die Hand nach dem Dolch aus. »Nein, ich glaube nicht, daß du ihn noch brauchst, um ihn gegen mich oder dich selbst zu richten. Er stammt aus dem Reich deiner Mutter, dem Reich der Täuschungen, und deshalb siehst du Dinge, die es nicht gibt. Aber du siehst sie durch das Licht, dem wir hier dienen.
    Deshalb siehst du die Wahrheit und nicht länger nur das, was man dir erlaubt zu sehen. Gib mir den Dolch, Pamina, denn an ihm haftet der böse Zauber aus dem Reich der Sternenkö-
    nigin. Und nun sieh die Stadt, wie sie wirklich ist.«
    Pamina legte folgsam den Dolch in Sarastros Hand. Und sobald sie ihn losließ, schien sich ein Nebel von ihren Augen zu heben, und hinter den Mauern des Tempelbezirks erstreck-ten sich Wälder, soweit das Auge reichte. In weiter Ferne, am Horizont ragten die Türme einer Stadt auf, deren Konturen Pamina gut kannte, denn dort hatte sie einmal

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