Tochter der Nacht
Wenn ihnen im Augenblick, und sicher nur für den Augenblick, die Sprache verboten war und sie darauf verzichten mußten, dann konnte er dem magischen Medium Luft seine Liebe und seine Sorge um Pamina anvertrauen und durch die Töne der Flöte zu ihr sprechen.
Zauberflöte, sprich für mich. Singe ihr von meiner Liebe. Sage Pamina, sie möge mir vertrauen, bis die Prüfungen hinter uns liegen, und dann, wenn die Götter es wollen, werden wir fortan hier zusammen leben.
»Tamino!« Dieser gequälte Aufschrei brachte ihn dazu, die Flöte abzusetzen und sie anzusehen. »Bitte, hör auf zu spielen. Sieh mich an, rede mit mir! Ich kann es nicht ertragen, daß du mich nicht einmal ansiehst. Ich dachte, du liebst mich. Oder hat man sich einen Spaß mit mir erlaubt? Hat man mich belogen?«
Paminas Augen füllten sich mit Tränen; Tamino sah sie auf-steigen und fließen. Er war zutiefst bekümmert (hatte man ihr denn nichts von der Prüfung gesagt?) und wünschte verzweifelt, er könnte die Flöte beiseite legen und ihr alles erklä-
ren. Schon sah Tamino, wie er Pamina in die Arme nahm und sie zärtlich hielt, als sei sie etwas sehr Zerbrechliches und Kostbares – ein Juwel, das er durch Zufall auf seinem Weg ins Unbekannte gefunden hatte… Er würde von seiner Liebe sprechen und sie bitten, ihm zu vertrauen.
Doch das durfte er nicht. Wenn man Pamina nichts über die Prüfungen gesagt hatte, so mußte man sie als Tochter eines Priesters zumindest darauf vorbereitet haben, daß ihr Vertrauen auf die Probe gestellt wurde.
Tamino sah sie weinen. Er hätte nie gedacht, daß ihm die Tränen einer Frau so sehr zu Herzen gehen würden. Vielleicht war dies die Prüfung des Feuers, denn während er die weinende Pamina beobachtete, empfand er einen brennenden Schmerz in seiner Brust. Am Hof seines Vaters hatte man ihn gelehrt, alles ruhig und ohne unangebrachte und unwürdige Gefühle zu ertragen, doch in diesem Augenblick würde er nichts lieber tun, als die Flöte fallenzulassen, Pamina in die Arme zu nehmen und sie zu küssen, bis ihre Tränen versieg-ten und sie die Gründe für sein Schweigen gehört hatte.
Aber dann werde ich sie verlieren, wie Papageno Papagena verloren hat, dachte Tamino, und Papagenos verzweifelter Aufschrei beim Verschwinden Papagenas klang ihm im Ohr.
Seine Finger glitten über die Flöte, er hielt den Kopf gebeugt und wagte nicht, Pamina noch einmal anzusehen. Sie muß meine Liebe doch in der Musik hören, dachte er verzweifelt.
Sie muß mich doch auch ohne Worte verstehen, Warum muß es zwischen uns Worte geben?
∗ ∗ ∗
»Tamino, liebst du mich nicht mehr?« Ihre Worte schnitten ihm ins Herz. Er biß sich auf die Lippen und schmeckte Blut.
Selbst wenn sie nicht wußte, daß es sich um eine Prüfung handelte, ging das sicher zu weit. Wie konnte man von ihm verlangen zuzusehen, wie Pamina litt?
Doch was hätte die Prüfung genützt, wenn sie leicht gewesen wäre? Tamino drängte seine Tränen zurück und spielte weiter, entschlossen, Pamina nicht mehr anzusehen.
»Tamino!« Diesmal rief sie seinen Namen voller Angst. Er spürte, wie ihre zierlichen Hände ihm die Flöte zu entwinden versuchten und ließ das Instrument fallen. Er würde nicht mit Pamina kämpfen und versuchen, ihr die Flöte wieder ab-zunehmen.
Sie haben nur gesagt, ich darf nicht mit ihr sprechen. Sie haben nichts davon gesagt, daß ich sie nicht küssen darf, dachte er und kämpfte gegen die Versuchung, genau das zu tun. Sein Atem ging schwer, doch die Worte des alten Priesters klangen in seinen Ohren: Du darfst sie nicht berühren oder mit ihr sprechen.
Keuchend vor Anstrengung und Qual riß er sich los und wandte ihr den Rücken zu. Er hörte, wie sie in einer Mischung aus Zorn und Pein aufschluchzte, dann schnelle Schritte, und eine Tür fiel ins Schloß.
Weinend sank Tamino zu Boden.
Vierzehntes Kapitel
Wild schluchzend stürmte Pamina aus dem Gewölbe. Alle ihre Hoffnungen hatten sich zerschlagen. Tamino war nicht zu trauen; er hatte sie zurückgewiesen. Auch Sarastro war nicht mehr zu trauen. Er hatte sie zu Tamino geschickt, damit sie ihm die Flöte bringe, und sie dieser grausamen und entsetzlichen Zurückweisung ausgesetzt.
Sie hatte begonnen, den Vater zu lieben und ihm zu vertrauen. Was blieb ihr jetzt noch?
Was soll ich tun? überlegte Pamina, in das Reich meiner Mutter zurückkehren? Aber die Sternenkönigin hatte sie verstoßen, von ihr verlangt, Sarastro zu töten oder sich nicht mehr als
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