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Tochter der Nacht

Tochter der Nacht

Titel: Tochter der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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ihre Tochter zu betrachten.
    Mutter kann es nicht wirklich so meinen, dachte Pamina.
    Wie konnte sie die Tochter verstoßen, die sie zur Thronfolgerin und Erbin erkoren hatte? Doch die Erinnerung an den kalten, bösen Blick der Sternenkönigin ließ sie erschauern.
    Arme Mutter! Haß und der Gedanke an Rache haben dich zum Wahnsinn getrieben. Trotzdem fürchtete Pamina der Sternenkönigin unter die Augen zu treten ohne den Dolch, an dem Sarastros Blut klebte – und wußte doch, sie würde nie die Hand gegen ihren Vater erheben.
    Pamina hatte den Dolch noch immer im weiten Oberteil ihres Gewandes verborgen. Sie scheute sich, ihn in ihren Gemächern zu lassen, da zu befürchten stand, daß jemand ihn entdeckte. Pamina betrachtete ihn bitter. Vielleicht sollte sie sich lieber selbst…
    Hätte ihre Mutter doch der gemeinsamen Flucht aus Sarastros Reich zugestimmt! Dann wären sie jetzt im sicheren Palast der Sternenkönigin, in dem sie geboren worden war.
    Pamina mußte sich entscheiden. Sie konnte nicht länger durch die Gärten von Sarastros Tempel irren. Seit man sie hierhergebracht hatte, war sie noch nie jenseits der Mauern gewesen. Pamina wußte nicht einmal, ob sie den Weg nach Hause finden würde. Jetzt war sie in einem Garten mit vielen Palmen, und an manchen hingen Büschel reifer Datteln. Die Mauern der Gebäude strahlten weiß in der Sonne und blendeten sie – oder standen Tränen in ihren Augen? Pamina trocknete sie mit ihrem weißen Gewand und sah sich um.
    Sie entdeckte eine Treppe, die zu einem der höchsten Dächer hinaufführte. Vielleicht konnte man von dort oben über die Mauern blicken, und sie würde den Weg zum Palast der Sternenkönigin finden. Ihre Mutter konnte doch keinen Mord wünschen, konnte doch nicht die jüngste Tochter verstoßen, weil diese sich weigerte, ihren Vater zu töten? Nein, so grausam und ungerecht konnte die Sternenkönigin nicht sein.
    Aber der Dolch in ihrer Hand – er war wirklich –, und sicher hatte sie die Worte ihrer Mutter richtig verstanden.
    Entweder haben sie Haß und Rachegedanken zum Wahnsinn getrieben, oder ich werde wahnsinnig, weil ich immer wieder daran denke, dachte Pamina.
    Es war eine schmale, steile Treppe, die sich an einer schwindelerregend hohen Mauer nach oben wand. Pamina hatte Angst, nach unten zu sehen und preßte sich beim Hinauf steigen an die Mauer. Entschlossen wandte sie den Blick vom äußeren Rand der Stufen ab und hielt ihn fest auf ihre Füße gerichtet. Schließlich endete die Treppe, und Pamina trat auf das flache Dach.
    Hier oben war offensichtlich ein Zufluchtsort vor der größten Hitze des Tages. Große Pflanzen in Töpfen standen herum und in ihrem Schatten Ruhebetten und niedrige Sitze. In der Mitte plätscherte ein kleiner, kühlespendender Springbrunnen. Eine hohe Umfassungsmauer versperrte stellenweise die Aussicht, doch Pamina entdeckte eine winzige Plattform, von der man die ganze Stadt überblickte. Pamina ging hin-
    über und sah deutlich den Palast ihrer Mutter, gar nicht so weit entfernt, obwohl er, wie sie wußte, am Rand der Wüste von Atlas-Alamesios lag.
    Sie konnte ihn mühelos erreichen…
    Pamina war, als sollte sie augenblicklich hinuntersteigen, zum nächstgelegenen Tor gehen und auf die große breite Straße, die sie von hier oben deutlich sah. Doch sie zö-
    gerte.
    Sarastro würde sie sicher nicht mehr zwingen hierzubleiben, nachdem Tamino sie abgewiesen hatte und sie dem Vater nicht länger von Nutzen war. Er konnte sie nicht mehr mit dem Prinzen aus dem Westen vermählen… Außerdem machte das schlichte weiße Gewand sie zu einer von vielen Novizinnen, so daß sie unbemerkt gehen und kommen konnte wie alle, die ihren Pflichten genügten.
    Vom Dach aus sah Pamina eine lange Prozession sich durch die Straßen winden. Überrascht zählte sie an ihren Fingern nach: Ja, heute war Neumond, und heute fanden die Opfer statt. Hörner dröhnten; sie hörte die rituellen Klageschreie der Trauernden, die vom Rauch der heiligen Krauter wie be-täubt waren, und sie sah die Opferpriesterinnen ihrer Mutter mit den großen Messern. Das war sicher alles richtig und gut, es entsprach der Ordnung der Welt… Als man sie hierhergebracht hatte, hatte sie Sarastro gefragt, wann die Opfer stattfänden und zu ihrem Schrecken gehört, daß in Atlas-Alamesios nicht geopfert wurde. Ihre Mutter, die Sternenkö-
    nigin, hatte ihr gesagt, Sarastro sei von den Göttern verlassen und ein Teufel – Pamina sah es nun. Er

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