Tochter der Nacht
bestehen. Wenn er die Flöte benutzen mußte, um die Hilfe der Halblinge zu erzwingen, sollte es eben so sein…
Die Meerwesen, das Robben-Volk und die drei Delphin-Halblinge verharrten auf der Stelle und starrten ihn mit gro-
ßen dunklen Augen an, als Tamino die Flöte an die Lippen nahm und zögernd hineinblies.
Mit einem langen, etwas gedämpften Seufzer, eine Welle schlug ihm gerade gegen das Gesicht, setzte er sie wieder ab.
»Wie kann ich nur beweisen, daß ich euch nicht befehlen möchte? Wir sind auf euer Mitleid angewiesen, Brüder und Schwestern des Meeres. Wir brauchen eure Hilfe, um das Land zu finden. Wir bitten euch und fordern nicht.«
Tamino spürte, wie Pamina an seinem Arm sich zur Seite drehte, und wußte, er hatte sie enttäuscht. Doch wenn er den Erfolg der Prüfungen damit bezahlen mußte, sich den Halblingen gegenüber als Tyrann zu erweisen, wie es die Damen der Sternenkönigin zu tun beliebten, dann wollte er diesen Erfolg nicht. Die Sternenkönigin hatte die Prüfungen bestanden, doch sie war dadurch kein besserer Mensch geworden.
Der Anführer der Delphine spie einen Wasserstrahl durch seinen spitzen Mund und sagte: »Gib uns, was du in der Hand hältst, und wir werden euch an Land bringen. Ich werde deine Gefährtin tragen, ich sehe, wie erschöpft sie ist.«
»Es ist mir nicht gestattet, die Flöte aus der Hand zu geben«, erwiderte Tamino, »aber ich verspreche euch bei meiner Eh-re, keinen einzigen Ton darauf zu spielen.«
»Das genügt nicht«, erklärte der mächtige Robben-Mann.
»Was wissen wir denn von deiner Ehre? Die Menschen haben uns oft genug betrogen.« Klatschend schlug er mit seinen Flossenfüßen auf das Wasser und tauchte unter. Pamina seufzte auf und hing plötzlich leblos an Taminos Arm; sie war ohnmächtig geworden.
Tamino entgegnete dem Delphin-Mann, der wohl ihr Anführer war: »Ich weiß auch nichts von eurer Ehre. Man hat mir die Flöte anvertraut. Ich darf sie nicht weggeben. Woher soll ich wissen, daß ihr nicht davonschwimmt und uns unserem Schicksal überlaßt, sobald ihr sie in euren Händen habt?«
»Hältst du mich für einen Sohn des Affen oder der Schlange? Wie kannst du glauben, daß ich nicht die Wahrheit sage?« fragte der Delphin-Halbling zurück. »Du kennst mich nicht. Mein Name ist Felshüter, und in der Geschichte des Meeres hat noch niemand aus meinem Volk sein Wort gebrochen. Sollte ich auf dem Weg an die Küste sterben oder einem Hai zum Opfer fallen, würde mein ganzes Volk euch unter Einsatz des Lebens beschützen, damit mein Wort nicht zu Schaum wird und in den Wellen versinkt. Ich kann hundert Meerwesen herbeirufen, die gerne die Wahrheit meiner Worte bezeugen.«
»Ich kenne sie nicht besser als dich«, erwiderte Tamino verstört und blickte mit Sorge auf Paminas leblosen Körper.
»Man hat mir die Flöte anvertraut; aber ich will dir einen Vor-schlag machen. Helft uns, das Land zu erreichen, und einer deiner Leute, dem du vertrauen kannst, soll die Flöte tragen.
Er soll sie am Ufer ablegen, und ich schwöre dir bei meiner Ehre als Prinz von Atlas-Alamesios, daß ich sie nicht berühre und nicht auf ihr spiele, bis das Meer-Volk wieder außer Hörweite ist.«
Felshüter stieß einen ungläubigen, durchdringenden Pfiff aus. »Weder ich noch meine Vorväter haben je einem Sohn des Affen getraut.«
»Aber«, entgegnete Tamino, »du hast mir erzählt, daß der Alte Vertrag zwischen unseren Völkern bis heute nicht verletzt worden ist. Dir darf ich die Flöte nicht geben, denn Sarastro hat sie mir anvertraut. Doch… bei dem Vertrag, von dem du gesprochen hast… willst du mir nicht vertrauen, wie du möchtest, daß man dir vertraut, Bruder Halbling?«
»Sarastro.« Und wieder ertönte das durchdringende Pfeifen.
Dann sagte Felshüter: »Es sei. Komm, Wellenreiterin, nimm die Flöte und bringe sie sicher an Land, um mein Ehrenwort einzulösen.«
Die Delphin-Frau schwamm dicht an Tamino heran und streckte einen ihrer flossenartigen Arme nach der Flöte aus.
Zögernd überließ Tamino sie ihr, denn trotz allen Geredes von Ehre und Vertrauen traute er den Delphinwesen nicht völlig. Aber er hatte keine andere Wahl. Seine Augen brannten vom Salzwasser, und seine Arme und Beine waren wie Blei. Wellenreiterin schwamm mit der Flöte schnell davon, tauchte dann wieder aus den Wellen auf und starrte Tamino mit ihren großen Augen an. Er sah ihren glatten nackten Körper, die kleinen Brüste an ihrem Bauch, den unbehaarten,
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