Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
davon.
Darran sah ihm nach, dann nahm er die Hände aus den Hosentaschen und nahm die Verfolgung seiner Beute auf.
Sie war weit fort, die Spur war nur schwach, und als sie in eine größere Stadt führte, verlor sie sich in dem dort herrschenden menschlichen Gefühlschaos beinahe völlig. Dass er mit seiner Veränderung auch menschliche Gefühle spüren konnte, daran hatte er sich ebenfalls erst gewöhnen müssen, und so war es ihm anfangs des Öfteren passiert, dass er von einer bösartigen Aura angezogen wurde und der Spur nachgegangen war, um dann festzustellen, dass er vor einem schlichten Menschen stand.
Die Erkenntnis, dass auch Menschen Bösartigkeit ausströmten, hatte ihn anfangs verblüfft. Sie dampfte sogar dann noch aus ihren Körpern hervor, wenn sie gerade niemanden töteten oder verfolgten. Sie wirkten nach außen hin überraschend normal, unauffällig, und doch war bei manchen ihr ganzes Wesen vergiftet. Wäre es jemand von Amisaya gewesen, so hätte der Graue Herr schon längst einen seiner Jäger geschickt, um denjenigen zurückzubringen. Hier dagegen konnten die heimlich Bösartigen, die hinterhältig Neidischen, die Hasser und Gierhälse ohne Strafe durchs Leben und ihre Zeit gehen. Sie konnten schaden, wehtun, kaputt machen, ohne jemals dafür belangt zu werden. Es gab natürlich auch Ausnahmen. Manchmal wurden Menschen von anderen Menschen gejagt, gefangen genommen, oft sogar getötet. Aber oftmals waren sie nicht gerade diejenigen mit der schlechtesten Aura. Darran war anfangs oft deswegen verwirrt gewesen, aber inzwischen hatte er es als eine der vielen menschlichen Widersprüchlichkeiten akzeptiert.
Nun jedoch verschloss er sich gegenüber den fremden Gefühlen und konzentrierte alle seine Sinne auf die Beute. Da war die Spur. Zuerst schwach, dann stärker. Hass war in ihr, klebrig und tödlich. Darran folgte ihr schnelleren Schrittes. Sie konnte ihm nicht entkommen, ihr bösartiger Odem verseuchte die Straße, die er entlanglief. Kaum noch wenige irdische Minuten, vielleicht nur Sekunden, und er würde sie fassen.
Aber da, just in diesem Moment, geschah das Unfassbare. Jemand ging an ihm vorbei. Ohne ihn zu beachten, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, eilte eine junge Frau kaum zwei Armlängen entfernt vorüber und lief mit einer Schar anderer Fußgänger über eine Straße.
Darran war es, als träfe ihn ein Schlag, der zugleich die Spur der Beute auslöschte und ihn selbst bewegungslos an die Stelle bannte. Er war so perplex, dass er wie angewurzelt mitten auf eben dieser Straße stehen blieb, während eine endlose Wagenkolonne, mehrere Radfahrer und eine Straßenbahn durch ihn hindurchfuhren. Und als er endlich begriff und dem Mädchen nachlaufen wollte, stellte er fest, dass er wie ein Anfänger bis zu den Knien in der Straße eingesunken war, weil er vergessen hatte, sich zu konzentrieren. Er war so verwirrt, dass sich die Materie daraufhin wie eine klebrige Substanz an seine Füße heftete und er regelrecht durchwaten musste, bis er seine Gedanken wieder unter Kontrolle hatte. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte er beschämt um sich gesehen, ob ihn auch kein anderer Jäger beobachtete, aber so starrte er, ohne zu blinzeln, auf den Rücken der jungen Frau. Sie hatte ihn nicht einmal gestreift, und doch hatte er ihre Nähe gefühlt wie eine Berührung. Sie hatte eine Aura wie sonst kein Mensch. Eine Ausstrahlung, die er wahrnehmen konnte wie die Menschen den Duft von Blüten oder Parfüm.
Sie war es. Sie musste es sein! Er spürte, fühlte, sah, roch sie. Ein Jäger vergaß niemals die Ausstrahlung eines anderen. Und diejenige der kleinen Gabriella hatte sich tief in sein Wesen geprägt.
Darran verschloss seine Sinne gegenüber Julians drängendem Ruf, denn: Er hatte sie gefunden.
Anfangs war es mehr sein Instinkt, der ihn der jungen Frau folgen ließ, während sein Verstand immer noch in der Straße steckte und nur langsam zu ihm zurückkehrte. Sein Blick hing wie gebannt an ihr. Ihr Haar war bräunlich. Das Kind damals war dunkelblond gewesen. Aber er ließ sich nicht beirren – Menschen veränderten ihre Haarfarbe oft und grundlos. Er hatte an den Menschen beobachtet, dass sich deren Haar auch im Laufe des Lebens verfärbte: von Braun zu Grau zu blond oder Weiß mit violettem Schimmer.
Er ging gerade nur so schnell, dass er sie nicht aus den Augen verlor. Wenn er sie nur berühren könnte! Der unwiderstehliche Drang, es zu tun, ergriff ihn, dass er die Fäuste
Weitere Kostenlose Bücher