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Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vara
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Erklärung, womöglich sogar eine Rechtfertigung sein?
    Die Frau sah nicht hoch. »Geflohen? Von hier? Wer würde das nicht?«
    »Er hat getötet und er wird es wieder tun. Er hat durch die Verwandlung den Verstand verloren und ist eine Gefahr auch für dich. Geh zurück oder du teilst sein Schicksal.«
    Sie erhob sich langsam, sah noch einmal auf den Mann hinab und trat dann zurück. Ihr Blick war hasserfüllt. Strabo betrachtete die Frau lange Zeit und senkte dann als Erster den Blick.
    Die Nebelwesen näherten sich, zuerst zögerlich, dann stürzten sie sich gierig auf den Mann.
    Darran sah weg, er konnte den Anblick schon lange nicht mehr ertragen. Aber er konnte ihn auch nicht völlig ignorieren – ebenso wenig wie die Schreie. Er zwang sich zur Ruhe und konzentrierte sich darauf, das verräterische innere Zittern zu kontrollieren, ehe der Herrscher etwas bemerkte. Ein Jäger, der Gefühle entwickelte und dachte, war gefährlich. Würde man ihn entdecken, wäre er vermutlich bald wie die anderen ein Opfer der Nebelwesen.
    Das Mädchen. Gabriella. Er klammerte seine Gedanken an sie – die Erinnerung war wie ein Lichtstrahl in dieser Düsternis.
    Dann war es endlich vorbei. Und er war wieder frei. Er verschwand und ließ Amisaya und den Grauen Herrn hinter sich. Als er genug Abstand gewonnen hatte und Strabos Geist ihn nicht mehr erreichen konnte, gestattete er sich ein völlig neues Gefühl: Freude.

Drittes Kapitel
    Man sagt, die Tage bis zum Begräbnis und das Begräbnis selbst wären die schlimmsten, und das stimmte auch, was Gabriella betraf. Am Tag danach war die Trauer schon dumpfer und etwas erträglicher geworden. Sie hatte während des Begräbnisses nicht geweint – das tat sie nie in der Öffentlichkeit – und sich erst daheim gehen lassen. So heftig musste sie weinen, dass sie danach erschöpft eingeschlafen war und am nächsten Tag bis zur Mittagszeit schlief. Und nun schlurfte sie, in ihrem alten Bademantel, in die Küche. Unschlüssig betrachtete sie die Wollmäuse, die sich in ihren abgetretenen Fellschlappen verfangen hatten, und beschloss, das Reinemachen noch einen Tag zu verschieben.
    Kurz darauf saß sie gähnend am Küchentisch und wärmte sich die Hände an ihrem Kaffeebecher. Schräg vor ihr wartete ihr Laptop geduldig darauf, dass sie sich an eine längst fällige Übersetzung machte. Das hätte vielleicht vom Grübeln abgelenkt, aber sie konnte sich nicht aufraffen. Ihr war nicht nach Arbeit. Ihr war nach Traurigsein. Der Regentag warf tiefe Schatten ins Zimmer, und ähnlich düster, wenn nicht noch weit schlimmer, war auch ihre Stimmung.
    Sie nahm die Brille ab und putzte sie gedankenverloren mit einem Zipfel des Bademantels, während sie aus dem Fenster in den Hof hinabsah. Dieser Anblick lenkte sie immer ab und entführte sie kurzzeitig in eine heile Fantasiewelt, in der sie ihr Schicksal beherrschte und nicht umgekehrt sie vom normalen Leben beherrscht wurde. Der runde Stiegenaufgang des gegenüberliegenden Hauses erinnerte sie noch heute, nach so vielen Jahren, an einen Turm und war wie bei einer Ritterburg mit wildem Wein überwuchert. Kurz nachdem sie hierher gezogen waren – Gabriella war ungefähr dreizehn gewesen – hatte sie sich in dieses Haus geschlichen, in der Hoffnung, einem verwunschenen Prinzen oder einer Prinzessin zu begegnen. Alles, was sie vorgefunden hatte, waren jedoch nur dämmrige Gänge, ein muffiger Keller, der bis tief in die Hölle zu führen schien, und eine böse Hexe in der Gestalt der Hausmeisterin gewesen, die sie im breitesten Wiener Dialekt verjagt hatte. Der allgegenwärtige Geruch nach Kohl und gerösteten Zwiebeln hatte ein Übriges getan, um ihre hoffnungsvolle, romantische Träumerei endgültig zu zerstören. Von da an hatte sie lieber vom Fenster aus geträumt.
    »Er ist einer der Todesengel. Jene Männer, die ich nicht sehen kann … « Camillas schwache, müde Stimme dröhnte in der Erinnerung in Gabriellas Ohren. Sie umschloss ihren Kaffeebecher so fest mit den Händen, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ihre Mutter hatte sie einfach mit dieser lapidaren Enthüllung allein gelassen! Die Heftigkeit ihres Zorns überraschte sie selbst. Anstatt ihr schon früher alles zu sagen, was auch ihre seltsame Gabe erklärt hätte, war ihre Mutter mit ihr von einem Ort zum anderen vor diesen Grauen geflohen. Und nun ließ sie sie mit diesen wenigen, verworrenen Worten allein zurück, ohne die Möglichkeit, noch Fragen zu stellen!
    Energisch

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