Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vara
Vom Netzwerk:
erschöpft darauffallen. Jetzt erst wurde sie sich bewusst, dass sie fror und immer noch die Kuchengabel in der Hand hielt. Sie warf sie auf den Tisch und hüllte sich in eine Decke. Es war, als hätte ihr dieses Treffen das letzte Fünkchen Energie genommen.
    Sie horchte in sich hinein: In ihr herrschte ein Gefühlschaos aus Angst, Widerwillen, Unglauben. Was, um Himmels willen, waren diese Männer? Wer oder was war ihr Vater? Woher stammten sie? Wer waren die Entflohenen? Und was, um alles in der Welt, war sie? Je länger sie grübelte und doch keine Antworten fand, desto wütender wurde sie. Eines war klar: Es hatte sich etwas verändert. Eine ganze Menge hatte sich, genau genommen, verändert. Sie wusste nur noch nicht, was sie damit anfangen sollte.
    ***

    Es war nicht schwierig gewesen, Gabriellas Wohnung zu finden. Darran hätte nicht einmal das Namensschild entziffern müssen, um zu wissen, dass er vor ihrer Tür stand – der Hauch ihres Odems lag davor wie ein köstlicher Duft. Alles in ihm drängte danach, durch die Wand zu gehen, sie anzustaunen und herauszufinden, wie sie da drinnen lebte. Aber das wäre zu gefährlich, falls sie ihre Fähigkeit, ihn zu sehen, nicht verloren hatte, würde er sie erschrecken. Er hatte es lediglich ein einziges Mal gewagt, während der Nachtstunden auf Expedition zu gehen, als er annahm, dass sie wie die meisten anderen Menschen schlief.
    Und das wäre beinahe schiefgegangen. Er hatte sich gerade durch die Wand geschoben und stand in einem Raum, der vermutlich als Küche diente, als er sie kommen hörte. Zuerst vernahm er ein lautes Gähnen und verärgertes Gemurmel, schließlich kündigte sich ihr Nahen durch ein schlurfendes Geräusch an. Er sprang durch die Wand, schwebte drei Stock hoch neben der Hausmauer und schalt sich selbst einen ungeduldigen Kerl, der beinahe alles verpatzt hätte. Er wusste genug über die Menschen, um zu wissen, dass sie ungebetene nächtliche Besuche nicht eben wohlwollend aufnahmen. Damit sie ihm aber nicht entwischen konnte, lungerte er von da an im Hauseingang oder sogar auf dem Gang vor ihrer Wohnung herum, immer bereit, schnell zu verschwinden, sobald die Tür aufging.
    Das Mädchen blieb zwei Tage daheim, ohne auch nur einen Schritt vor die Tür zu setzen, und als sie dann eines Morgens endlich die Wohnung verließ, heftete er sich an ihre Fersen. Er folgte ihr bis zu einem der Verkaufsläden, in denen die Menschen gekochte Speisen bestellen und durch den Austausch von Geldmitteln erwerben konnten. Lokale nannten sie das. Oder Restaurants, wenn sie größer waren. Jenes, in dem Gabriella arbeitete, war klein, mit runden Stehtischen und einem kleinen rechteckigen Tisch mit zwei Stühlen, wo meist der Ladenbesitzer selbst saß. Er beobachtete sie eine Weile aus sicherer Entfernung, auch jene Menschen, die mit ihr dort arbeiteten, und kehrte schließlich in die Wohnung zurück, um sich in Ruhe bei Tageslicht umzusehen.
    Er glitt durch die Wand neben der Tür und blieb gleich dahinter stehen, überwältigt von einer ihm neuen, aufregenden Gefühl der Erwartung. Er war hier! In ihrer Wohnung! Und ihr so nahe wie noch nie!
    Langsam durchschritt er die Räume, sich dabei aufmerksam umsehend. So also lebte Gabriella. Er wiederholte den Namen im Geist, genoss den vertrauten Klang und Gedanken. Er hatte ihn erst einmal ausgesprochen, damals, als er, noch ganz verwirrt von der Begegnung, dem anderen Jäger von ihr erzählt hatte. Seit damals war er vorsichtiger geworden. Und auch unvorsichtiger, wie Julian ihm immer vorhielt.
    Er mochte, was er sah. Die Wohnung war hell und wirkte selbst auf jemanden wie ihn heimelig. Gabriella hatte viele heitere Bilder an den Wänden. Er hatte in der Vergangenheit versucht, den menschlichen Sinn für Kunst zu begreifen, oder das, was sie darunter verstanden, und war an den formlosen Klecksereien gescheitert. Diese Werke gefielen ihm jedoch. Sie stellten überzeichnete Figuren dar, nicht gerade nach der Natur gemalt, nur mit Strichen, aber es sprang ihn förmlich an, was sie dachten und taten. Er trat näher und kniff die Augen zusammen, um das schwungvolle Gekritzel darunter zu entziffern. G a b r i e l l a. Bewundernd und andächtig blieb er davor stehen. Künstler nannten die Menschen solche wie dieses Mädchen.
    Nachdem er sich umgesehen hatte, kehrte er zu dem kleinen Laden zurück. Sie war noch dort, servierte, lächelte, wechselte aber nicht viele Worte mit den anderen. Er machte es sich in ihrer Nähe

Weitere Kostenlose Bücher