Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vara
Vom Netzwerk:
machte den Mund auf. Und schloss ihn wieder. Sie hätte ohnehin kein Wort herausgebracht. Es war, als hätte man ihr die Luft aus den Lungen gesogen. Sie stand wie versteinert da, und erst als ihr schwindlig wurde, schnappte sie nach Luft, keuchte und hustete, doch schließlich wurde das Gesicht vor ihr wieder klarer.
    »Ich war bei ihr«, sagte er schließlich, als sie immer noch nichts erwiderte.
    Gabriella fragte nicht, wer der Mann war, sie fragte nicht, weshalb er zu ihr kam, sie stieß hervor: »Du hast ihr solche Angst gemacht, dass die anderen dachten, sie würde fantasieren!«
    Er legte den Kopf etwas schief, eine Geste, die auch Gabriella eigen war, wenn sie sich intensiv auf jemanden konzentrierte. »Sie hatte keine Angst mehr, als sie starb.«
    »Sie starb aber sehr plötzlich«, brach es aus ihr heraus.
    »Es war ihre Zeit. Sie hatte nur noch auf dich gewartet.« Er ging langsam im Raum umher und je länger er sich hier aufhielt, desto mehr schwanden die Schatten, und zurück blieb die dunkle Silhouette eines Mannes. Er sah zum Fenster hinaus, als er sehr leise sagte: »Sie schlief ein und ging ins Licht.«
    »Sie hatte Angst, du würdest sie holen, wie diese Grauen die anderen Menschen holen! Hatte sie recht? Ja?«
    »Die Jäger?« Er drehte sich mit einer ungeduldigen Geste zu ihr herum. »Sie haben nichts mit euch zu tun. Sie erfüllen andere Aufgaben.«
    »Jäger? Du nennst sie Jäger? Was jagen sie? Menschen? Ist Mutter deshalb immer geflohen?« Sie trat näher. Er sah auf die Kuchengabel, als Gabriella damit auf ihn deutete, rührte sich jedoch nicht. »Was bist du eigentlich? Was sind die anderen? Gespenster? Außerirdische?«
    Er überlegte, setzte zu sprechen an, schüttelte dann jedoch den Kopf. »Du würdest es ja doch nicht begreifen.«
    »Vielleicht versuchen wir es einfach?« Gabriella stemmte die Hände in die Hüften. Sie war zu wütend, zu erregt, um noch Angst zu haben. Da stand ihr Vater, den ihre Mutter Todesengel nannte, redete von mysteriösen Jägern und hielt sie für dumm! Wenn sie aber jetzt keine Fragen stellte, würde sie vielleicht nie Antworten erhalten!
    »Es ist für dich nicht gut, zu viel darüber zu wissen.« Er lächelte leicht. »Du bist ein Mensch, und ich danke den Ahnen dafür. Dass du sein könntest wie ich, war all die Jahre meine größte Angst.«
    »Ein Todesengel?«, fragte Gabriella in aggressivem Ton.
    Er schloss die Augen. »Nenne mich, wie du willst. Ich kann nichts weiter erklären. Und ich kann nichts bereuen. Ich habe unsere Gesetze gebrochen, als ich mit deiner Mutter lebte und dich verbarg, und ich war glücklich wie nie wieder.«
    »Und jetzt? Was willst du hier, wenn du keine Fragen beantworten willst?«
    Er sah sie eindringlich an. »Um dir von deiner Mutter zu erzählen. Du warst so unglücklich.«
    Er trat näher und streckte die Hand nach ihr aus. Gabrielle erwartete, dass er durch sie hindurchgreifen würde, wie das bei den Grauen so üblich war, und zuckte erschrocken zurück, als sie seine Berührung fühlte. Eine warme menschliche Hand hatte ihre Wange berührt.
    Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Meine Mutter ist geflohen, bis ich zu schweigen gelernt habe. Sie hatte Angst vor dir und deinesgleichen!«
    Er atmete tief und schwer ein. »Das war nicht nötig. Sie fürchtete, ich würde auf dich oder sie Anspruch erheben. Sie hatte in dem Moment Angst, als ihr klar wurde, dass du die Jäger sehen kannst, die anderen verborgen bleiben. Aber diese Furcht«, nun schwang in seiner Stimme ein harter, fast wütender Tonfall mit, »war völlig unbegründet.«
    »Haben diese grauen Schatten, diese Jäger, die Menschen, die sie mitnahmen, getötet?«
    Er schüttelte den Kopf. »Sie bringen jene zurück, die aus meiner Welt flüchten.«
    »Und was ist deine Welt?«
    Ihr Vater schien plötzlich zu lauschen, sein Gesicht wirkte nun veschlossen. Die Schatten verdichteten sich, sein Körper schien sich darin aufzulösen. »Ich muss gehen.«
    Gabriella vergaß ihre Vorsicht und lief ihm nach, in die Dunkelheit der Zimmerecke. »Warte! Ich bin noch nicht fertig! Ich habe Fragen an dich! Du kannst doch nicht einfach so …«
    Sie sprach mit der leeren Ecke. Der Raum war wieder in das Licht der Dämmerung getaucht, die Stehlampe verbreitete ihren warmen Schein. Von dort, wo sie stand, konnte sie durch das Fenster den grauen Abendhimmel sehen. Minutenlang blieb sie so stehen, starrte auf die leere Wand, dann wankte sie zur Couch hinüber und ließ sich

Weitere Kostenlose Bücher