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Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vara
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wirbelte herum. Vom Grauen war nichts zu sehen. Die Türen schlossen sich, der Zug fuhr an, beschleunigte. Sie presste die Nase an die Scheibe. Da stand er auch schon. Er wirkte verblüfft, verwirrt, beobachtete sichtlich unschlüssig, wie der Zug beschleunigte, machte endlich einen Schritt darauf zu und blieb mitten auf den Gleisen stehen, während der Zug davonbrauste.
    Triumphierend ließ Gabriella sich auf eine der Sitzbänke fallen.
    ***
    Sie ging oft und gerne in den Schlosspark von Schönbrunn. Er lag nicht allzu weit von ihrer Wohnung entfernt – ein willkommenes Reservoir aus frischer Luft, Bäumen und Grün inmitten der Stadt. Sie wanderte meist zügig unter den Baumalleen, zwischen exakt gestutzten Sträuchern, und manchmal kam sie sogar in Joggingschuhen und Trainingshose hierher, um ein paar gemütliche Runden zu drehen.
    Als sie an diesem regnerischen Sonntag die großzügige Schlosshalle durchschritt, um in den Park zu gelangen, tat sie es nur, um die Herbststimmung zu genießen und ein bisschen frische Luft zu schnappen. Arglos wie sie war, erschrak sie zu Tode, als ihr Blick gleich beim Betreten des Parks auf den Grauen fiel. Er lehnte rechts am Stiegenaufgang des Schlosses, sah in die Luft und beobachtete offenbar ganz aufmerksam einen Schwarm Spatzen, der eine Krähe jagte.
    Gabriella wandte sich scharf nach links und folgte mit klopfendem Herzen dem schmäleren der drei kiesbestreuten Wege, die vom Schloss in gerader Linie zur Gloriette anstiegen. Im selben Augenblick setzte auch er sich in Bewegung und schlenderte, die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, parallel zu ihr den rechten Kiesweg entlang. Wenn sie vorher noch Zweifel gehabt hatte, so war sie nun völlig sicher, dass er ihr nachschnüffelte.
    Vielleicht gab es auch in der Welt ihres Vaters Spinner? Stalker, die Menschen verfolgten? War er gefährlich? Ein Verrückter, der sie als sein nächstes Opfer ins Auge gefasst hatte? Die Zeitungsartikel im Koffer ihrer Mutter fielen ihr wieder ein, und ihr erster Gedanke war Flucht. Umdrehen, weglaufen, in die U-Bahn springen und heim! Sofort wurde ihr klar, wie lächerlich diese Idee war, denn inzwischen wusste er schon ganz genau, wo sie wohnte.
    Ihr Herz schlug hart und schnell, sie fühlte, wie ihr Puls an den Schläfen pochte. Ihr wurde schwindlig, und zugleich begannen ihre Hände und Knie zu zittern. So etwas nannte man wohl eine Panikattacke. Sie durfte ihr nicht nachgeben. Links und rechts des breiten Kieswegs standen Bänke zwischen Statuen. Gabriella eilte auf eine Bank zu und ließ sich mit weichen Knien auf die regenfeuchten Bretter nieder. Sie atmete mehrmals tief durch und verwünschte dabei ihre Idee, hierherzukommen. An einem so regnerischen Tag waren hier kaum Leute unterwegs, und sie war mit diesem Kerl fast allein hier! Kein angenehmer Gedanke, obwohl ihr ohnehin niemand zur Hilfe kommen konnte, wenn er es wirklich auf sie abgesehen hatte. Wie sollte ihr jemand gegen einen Verrückten helfen, der für alle außer ihr unsichtbar war! Und wie flüchtete man vor einem wie ihm, einem, der durch Menschen, Autos und vermutlich sogar durch Wände gehen konnte? Durch Wände gehen … Ein schlimmer Gedanke kam Gabriella: Jemand wie der brauchte bestimmt keinen Hausschlüssel. Ihr wurde heiß und kalt zugleich, wenn sie sich vorstellte, wie er durch ihre Wohnung schlich und sie vielleicht bespitzelte, während sie schlief oder ihm den Rücken zukehrte.
    Sie ballte die Faust, als könnte sie aus dieser Geste Kraft gewinnen, und schielte zu ihm hinüber. Dort stand er, genau gegenüber von ihr. Er war ebenfalls stehen geblieben, wippte auf den Zehenspitzen und besah sich eine Statue.
    Zeit gewinnen. Sich fassen. Nachdenken. Sie kramte in ihrem kleinen Rucksack nach einem Taschentuch. Als sie es entfalten wollte, fiel es aus ihren zittrigen Händen auf den Kies. Sie hob umständlich das nasse Papier auf, zerknüllte es in der Hand und sah dabei immer wieder verstohlen zu dem Grauen hinüber. Dann kramte sie weiter. Ihre fliegenden Finger stießen auf ihre Sonnenbrille, ein Geschenk von Rita. Ein schreckliches Ding, das sie aussehen ließ wie eine überdimensionale Fliege. Im Moment genau das Richtige. Hastig zerrte sie die Brille heraus und setzte sie auf. Die Welt wurde schlagartig noch dunkler, aber nun konnte sie ihn zumindest unauffälliger beobachten.
    Sie starrte jetzt einfach hinüber. Er machte, genau genommen, einen recht harmlosen Eindruck. Im Grunde wirkte er weit weniger

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