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Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vara
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beängstigend als jene ausdruckslosen Grauen, die ihr sonst über den Weg liefen. Er blickte einer jungen Frau entgegen, die einen Kinderwagen vor sich herschob, und wich sogar zwei Schritte zurück, damit sie nicht durch ihn hindurchlief. Seine Miene war nicht im Geringsten bösartig, er schien nur neugierig und aufmerksam. Vielleicht war er doch kein gemeingefährlicher Spinner? Aber die ganz Harmlosen waren ja angeblich immer die Schlimmsten. Und daran, dass er sie schon seit längerer Zeit verfolgte, bestand kein Zweifel. Wenn sie nicht auch von hier wegziehen wollte, so wie ihre Mutter jahrelang geflüchtet war, dann musste sie herausfinden, weshalb er hinter ihr her war. Andernfalls hatte sie keine ruhige Minute mehr.
    Sie atmete tief durch, dann stand sie entschlossen auf, zog sich den Rucksack über die Schultern, um die Hände frei zu haben, und setzte ihren Weg fort.
    Rechts, nur noch wenige Meter vor ihr, lag der Neptunbrunnen – begehrtes Fotomotiv unzähliger Touristen. Heute, in diesem herbstlichen Regenwetter, war der Platz davor allerdings ganz verwaist. Lediglich zwei ältere Frauen in Regenmänteln standen davor und unterhielten sich gestikulierend über die Brunnenfiguren. Sie stieg weiter hinauf. Hinter ihr lag das Schloss. Sie befand sich nun auf einem jener Wege, die vergangene Künstler auf Gemälden festgehalten hatten, gemeinsam mit Damen im Reifrock, aufgeputzten Hündchen und Pagen und galanten Kavalieren. Heutzutage lustwandelten hier nicht mehr die Höflinge der Kaiser, sondern nur noch das gemeine Volk. Gabriella hatte dieser Gedanke oft zum Lächeln gebracht, aber heute hatte sie keine Zeit, sich zu amüsieren. Heute hatte sie Angst. Ihr Atem ging rascher als sonst, ihr Herz schlug härter in ihrer Brust, als sie den Weg hinaufeilte.
    Links vom Neptunbrunnen schlug sie in einen Weg ein, auf dem man in einen abgelegeneren Teil des Parks gelangte. Dort wollte sie diesem Grauen auflauern und ihn zur Rede stellen. Ohne ihr Tempo zu verringern, sah sie verstohlen über die Schulter. Und tatsächlich, da kam er auch schon. Er hatte den Brunnen und die beiden Frauen passiert und folgte ihr, halb zwischen, halb in den teilweise entlaubten Hecken spazierend.
    Unter den Bäumen war der Park in dämmriges Licht getaucht, und der Nieselregen legte sich wie ein grauer Vorhang zwischen Bäume und Sträucher. Hier wurden die Wege nicht so oft gesäubert wie auf den Hauptstraßen, und ein Teppich aus bunten Blättern raschelte bei jedem Schritt. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre Gabriella wie ein kleines Kind durch die Blätterhaufen geschlurft, um sich über das Aufwirbeln und Rascheln der Blätter zu freuen, aber jetzt schob sie die Sonnenbrille über die Stirn hinauf, ehe sie über Kastanien oder abgebrochene Zweige stolperte, und hetzte weiter. Sie bog in einen schmalen Weg ein, der in eine einsame Allee mündete, und blickte um sich. Außer ihr und dem Grauen war niemand in dieser Gegend des Schlossparks. Das war gut, sie brauchte keine Zeugen, wenn sie einen Unsichtbaren zur Rede stellte. Rasch bog sie abermals um die Ecke und blieb kurzatmig und klopfenden Herzens hinter einer gestutzten immergrünen Buxbaumhecke stehen.
    Sie wartete.
    Er kam nicht.
    Gabriella pirschte sich an den Rand der Hecke und sah vorsichtig um die Ecke. Alles war leer. Nicht einmal der Ansatz eines Schattens von ihm war zu sehen. Sie runzelte die Stirn. Hatte sie sich doch getäuscht?
    Da fühlte sie etwas. Ein kühler Hauch kroch über ihren Rücken, als hätten fremde Finger sie dort berührt. Eine Präsenz. Ganz nahe. Sie wirbelte herum. Und blickte ihm direkt in die Augen. Er stand kaum zwei Schritte von ihr entfernt und sah sie neugierig an.
    Gabriella brauchte keinen Mut, um ihn anzuschreien, das kam vor Schreck wie von selbst. Sie ballte die Fäuste und machte einen drohenden Schritt auf ihn zu. »Was soll das? Weshalb läufst du mir nach? Was willst du von mir?!«
    Er blinzelte überrascht, blieb jedoch stumm. Um seine Mundwinkel zuckte es. Er stand sekundenlang völlig still, wie eine Statue, dann drehte er sich um und wollte sich augenscheinlich davonmachen. Aber sie hatte nicht ihre Angst überwunden und ihm die Falle gestellt, um ihn jetzt einfach laufen zu lassen! Wütend rannte sie ihm nach und packte ihn am Arm.
    Anstatt ihn jedoch zu fassen zu bekommen, griff sie durch ihn hindurch. Gleichzeitig spürte sie einen elektrischen Schlag, der von ihren Fingern bis in ihren Arm und ihre Schulter zuckte. Der

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