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Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten

Titel: Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mona Vara
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Graue fuhr herum und ging zwei schnelle Schritte rückwärts, wich vor ihr zurück. Seine Augen waren schmal geworden, und Gabriella sah, dass er schwer atmete.
    Sie standen einander gegenüber und starrten sich an. Er rieb sich mit einem verdutzten Ausdruck den Arm, und Gabriella massierte verärgert ihre Finger.
    »Also?«, fuhr sie ihn endlich an. »Weshalb verfolgst du mich?«
    Er machte den Mund auf.
    »Nun?« Gabriella wartete ungeduldig. Ihr fiel ein, dass er möglicherweise gar nicht ihre Sprache verstand. Vielleicht konnte er sie nicht einmal hören.
    »Ich …« Er sprach leise, wie aus einer anderen Welt, als würde seine Stimme in ihrem Kopf klingen und nicht in ihren Ohren. »Ich … bin«, er räusperte sich und suchte nach Worten, »zufällig hier«, schloss er lahm sein Gestotter.
    Seine Unsicherheit gab Gabriella die Oberhand. »Wer hat dir den Auftrag dazu erteilt?«, fragte sie scharf.
    Jetzt sah er peinlich berührt aus. »Niemand. Ich …« Er räusperte sich abermals, und seine Stimme in Gabriellas Kopf wurde lauter, kräftiger. »Ich hätte nicht gedacht, dass du mich hören kannst.« Wieder dieses kleine Zucken der Mundwinkel, als versuche er zu lächeln, wüsste jedoch nicht, wie das ging. »Niemand sonst kann mich hören, ja nicht einmal sehen.«
    Gabriella stemmte die Hände in die Hüften. »Ich schon. Und ich will jetzt eine Antwort. Du fällst mir nämlich schon länger auf. Du bist ständig in meiner Nähe und läufst mir nach!«
    Er machte einen halben Schritt auf sie zu, streckte die Hand nach ihr aus und ließ sie wieder fallen. »Du kannst mich sehen? Uns alle?«
    »Ich weiß nicht, ob ich alle sehe, aber eine ganze Menge von euch Typen sind mir schon über den Weg ge…«
    »Und du kannst mich hören«, unterbrach er sie. Jetzt zuckten die Mundwinkel stärker. »Hast du schon mit anderen gesprochen? Außer mit mir?«
    »Wozu denn?«, fragte sie zurück. »Bisher bist du der Erste, der mich verfolgt.«
    Sein Blick wurde mild. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Du bist lästig!«
    »Das tut mir leid«, sagte er langsam. »Aber ich hätte dich nicht verfolgt, wäre da nicht diese Erinnerung an dich.« Sein Blick glitt über sie. »Du heißt Gabriella.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Er sprach den Namen mit einem italienischen Akzent aus. So wie ihre Mutter ihn betont hatte. Diese Vertrautheit tat weh. Wut kochte in ihr hoch. Er war also tatsächlich bis vor ihre Wohnungstür gekommen und hatte dort ihren Namen gelesen. Er hatte sie regelrecht ausspioniert. Und vermutlich hatte er nicht vor der Tür haltgemacht!
    »Ich habe gehört, wie dich deine Mutter gerufen hat«, sagte er in diesem Moment. »Vor …«, er zögerte, »langer Zeit in einer Stadt, die ihr Venedig nennt. Du warst etwa so hoch«, er zeigte eine Höhe von etwa einem Meter. »Ein Kind«, fügte er hinzu. »Du bist …«
    »Durch dich hindurchgelaufen«, beendete Gabriella an seiner Stelle mit tonloser Stimme den Satz. Die Erkenntnis traf sie wie ein kalter Regenschwall. Wie lange hatte sie nicht mehr daran gedacht? An die Frau, die sie verfolgt hatte? An ihn. Sie hatten damals Venedig verlassen, und Gabriella war lange Zeit unglücklich gewesen und hatte sich zurückgesehnt. Und jetzt, nach so vielen Jahren, stieg die lange verdrängte Erinnerung wieder empor. Die besudelte Frau, das blutige Gesicht von Hass verzerrt. Er, mitten auf der Brücke. Sein Erschrecken, als sich ihre Blicke getroffen hatten.
    Gabriella schwieg, überwältigt von alten Bildern, und auch er sah sie stumm an; sein Blick glitt über ihr Gesicht, als suchte er nach Vertrautem.
    »Du hast die Frau mitgenommen«, sagte sie schließlich.
    »Natürlich. Sie hat getötet und wollte es wieder tun.«
    Ja. Sie hatte sie, Gabriella, töten wollen. Jetzt konnte sie sich an das hasserfüllte Gesicht der Frau wieder ganz deutlich erinnern. Und sie glaubte, die Stimme ihres Vaters zu hören, der sagte: Sie bringen jene zurück, die aus meiner Welt flüchten . Was war diese Welt? Ein überdimensionales Irrenhaus?
    Gabriella machte einen Schritt auf den Grauen zu. Er wich etwas zurück, als hätte er Angst, sie könnte ihn abermals berühren. »Weshalb hat sie mich verfolgt?« Sie hatte sich die Frage damals oft gestellt, auch ihrer Mutter, bis sie merkte, dass sie ihr damit Angst machte. Und später hatte sie diese Frage vergessen. Sie war gewachsen, erwachsen geworden, und andere Erlebnisse hatten dieses verdrängt. Bis zu diesem

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