Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
müde.«
»Gabriella …«
Sie schloss kurz die Augen und wäre beinahe über den Randstein gestolpert. Dieses weich und mit italienischem Akzent ausgesprochene Gabriella . Kein Gabi. Kein deutsches Gabriela. Gabriella. Nur er nannte sie so. Ein Schritt weiter und sie lief gegen eine sanfte, zärtliche Mauer aus Elektrizität und riss die Augen auf. Er stand vor ihr und sah sie ernst an. »Du weißt, dass ich alles tun würde, um dir zu helfen.«
Und alles, was sie tun konnte, war, zu verhindern, dass er diesen monströsen Nebeln zum Fraß vorgeworfen wurde. Sie war unglücklich, verzweifelt und wusste doch, dass sie diese Gefühle vor ihm verbergen muss-te. Jetzt wurde ihr auch das Schicksal von Ritas Jäger klar. Er war längst tot. Irgendwann fortgeholt und diesen … Nebeln … zum Fraß vorgeworfen. »Was sind die Nebel?«, fragte sie leise. »Du hast mir einmal von ihnen erzählt.«
Ein Zucken ging über Darrans Gesicht. »Weshalb fragst du jetzt nach ihnen? Sie müssen dir keine Sorgen machen.«
»Und dir?«, sagte sie müde. Als er keine Antwort gab, schlüpfte sie an ihm vorbei. Es war nicht mehr weit zu ihrem Haus. Nur noch ein paar Schritte. Sie ging sehr langsam. Vielleicht waren es die letzten Schritte, die sie neben ihm machte. Alles, was sie wusste, war, dass sie ihn schützen musste, wenn sie auch noch keine Ahnung hatte, wie sie das anstellen sollte. Als sie das Haustor aufschloss, war er wie selbstverständlich an ihrer Seite. Sie blieb stehen. »Bitte komme heute nicht mit hinauf. Ich bin müde und würde gerne durchschlafen.«
»Natürlich, meine Liebste.« Er war enttäuscht, das sah sie ihm an, und doch war sein Blick so warm und liebevoll, dass Gabriella sich innerlich krümmte. Wie gern hätte sie ihn jetzt berührt, sich von ihm auf diese sinnliche Art küssen und berühren lassen, bis das Prickeln ihren ganzen Körper erfasste. Und doch wusste sie, dass sie sich von ihm trennen musste – seinetwegen. Schon bei dem Gedanken, er könnte ihretwegen bestraft werden, schnürte es ihr die Luft ab.
»Und außerdem …«, fuhr sie mit zittriger Stimme fort, »bin ich nicht sicher, ob wir das überhaupt noch einmal tun sollten. Ich muss erst darüber nachdenken.«
Sie wagte nicht, ihm in seine Augen zu sehen und zu erkennen, wie sie ihn mit diesen Worten traf. Sie wandte sich abrupt ab und lief die Treppe hinauf. Nur weg von ihm und seiner Nähe.
***
Gabriella schlief kaum in dieser Nacht. Sie fühlte sich wie zerschlagen, kroch immer wieder aus dem Bett und wanderte ruhelos in der Wohnung umher. Wann immer sie aus dem Fenster blickte, sah sie Darran, der unberührt von Wind und den umherwehenden Schneeflocken unten stand und unverwandt heraufsah. Es schneite stärker als noch am Abend, und auf den Autos und Häuservorsprüngen hatten sich niedrige, fast durchsichtige Kristallberge gebildet. Darran sah sich um, als würde er sich daran erfreuen. Wie gerne wäre sie jetzt neben ihm gestanden, gleichgültig, wie kalt es sein mochte. In diesem Moment sah er wieder hoch und lächelte. Aber selbst von hier konnte sie sehen, dass er besorgt und angespannt war. Sie wandte sich ab.
Streng bestraft … diese Worte hallten schmerzhaft wider. Und es wäre nur ihre Schuld. Wann immer sie kurz einnickte, träumte sie von ihm, und die Strafen, die er zu erdulden hatte, wurden in ihren Träumen immer schlimmer. Gefängnis war noch das Angenehmste, aber damit hielt sie sich in ihren Albträumen nicht lange auf. Tortur, Verbrennung auf einem Scheiterhaufen, ein Erschießungskommando, eiserne Jungfrau, Rädern und Vierteilen – ihre aufgewühlte Fantasie machte vor keiner Absurdität halt. Und dann immer wieder diese ominösen Nebel, die im Traum geifernde Mäuler besaßen, mit denen sie Darran das Fleisch von den Knochen rissen. Sie erwachte jedes Mal mit einem Ruck, saß dann schweißgebadet kerzengerade da und starrte schwer atmend vor sich hin.
Was sollte sie nur tun? Ihn warnen? Wusste er denn nicht selbst, dass das, was er tat, verboten war? Oder war es ihm gleichgültig? Wäre es ihr an seiner Stelle gleichgültig? Vermutlich würde sie eher eine Strafe riskieren, als ihn zu verlassen. Aber die Vorstellung, er könnte eines Tages spurlos verschwinden wie Ritas Freund und sie würde nie erfahren, was aus ihm wurde, war unerträglich. Vielleicht sollte sie vorschlagen, sich nur alle paar Wochen zu sehen? War das ungefährlicher? Nein. Sinnlos.
Als der Morgen graute, wusste sie, dass es nur eine
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