Tochter der Schatten - Vara, M: Tochter der Schatten
Schritte nach links in die Dunkelheit hinein. »Damals hatte ich eine Taschenlampe dabei«, sagte sie über die Schulter.
»Dann lass uns einfach weitergehen.«
Gabriella schüttelte den Kopf. In einer Nische waren einige Ziegelsteine übereinandergeschichtet, Gabriella ließ sich auf den wackeligen Sitz nieder und fuhr sich über das Gesicht. »Rita, das ist doch völlig verrückt. Was macht er überhaupt hier? Und warum plötzlich wie ein normaler Mensch? Ich dachte, er wäre wie Darran.«
Rita hockte sich vor sie und sah sie mit ernsthafter Miene an. Die Glühbirne warf dunkle Schatten auf ihr schmales Gesicht. »Hat dir dein Freund nie erzählt, dass sie manchmal aus ihrer Welt fliehen? Sie werden dann verrückt – warum, weiß ich nicht – und dann werden sie von den Jägern zurückgeholt.«
»Das ist doch absurd.« Natürlich war es absurd, aber sowohl ihr Vater als auch Darran hatten ihr etwas Ähnliches gesagt. »Und du meinst, er sei geflohen?«
Rita nickte.
»Das heißt, dass auch er verrückt wird«, stellte Gabriella trocken fest.
Jedes Leuchten in Ritas Augen erlosch. Sie stand rasch auf. »Was immer auch mit ihm passiert ist, ich vertraue ihm völlig. Komm jetzt!« Sie zog Gabriella hoch. »Es ist sicher nicht weit. Und der Gang geht immer geradeaus. Im anderen Keller gibt es bestimmt wieder elektrisches Licht. Hier, halte dich an mir fest.« Sie legte Gabriellas Hand auf ihre Schulter und tastete sich den Gang entlang weiter. Gabriella folgte ihr mit kleinen Schritten. Sie ging leicht gebückt, obwohl der Gang hoch genug war, um selbst einen großen Mann wie Darran oder Markus aufrecht gehen zu lassen, aber im schwindenden Schein der zurückbleibenden Glühbirne hatte sie an der Decke Generationen von staubigen Spinnweben entdeckt, die wie dichte Vorhänge herabhingen.
Hoffentlich war die Tür nicht versperrt. Hier fühlte Gabriella sich tatsächlich wie in einer Falle. Sie konnten nicht mehr zurück, weil Markus sie eingeschlossen hatte, und womöglich nicht nach vorn. Sie saßen wie Ratten in der Falle, um auf ihre Mörder zu warten. Sie verzog das Gesicht.
Es schien immer kälter zu werden, aber das unkontrollierte Zittern, das ihre Zähne aufeinanderschlagen ließ, wenn sie sie nicht fest zusammenpresste, bis es knirschte, kam wohl eher von der Aufregung. Und dann verließen sie auch noch den letzten Hauch der armseligen Glühbirne, und vollkommene Dunkelheit hüllte sie ein. Rita blieb stehen, damit sich ihre Augen noch besser daran gewöhnen konnten. Gabriella schnüffelte. Hier lagen garantiert tote Ratten herum. Solange es – sie starrte mit weit aufgerissenen Augen um sich – bloß Ratten waren und nicht Mordopfer. So wie sie vielleicht bald, wenn die Verfolger an Markus vorbeikamen. Ritas eiskalte Finger tasteten nach ihrer Hand.
»Ich höre etwas. Ein Huschen. Da vorn.«
»Das wundert mich nicht.« Gabriella wollte ironisch klingen, aber es war mehr ein klägliches Piepsen.
»Ich hab Angst vor Mäusen und Ratten.« Rita wirkte jetzt wesentlich zaghafter als noch zuvor.
»Ratten sind es ganz bestimmt.« Sollten sie zurückgehen? Gabriella drehte sich um. Die Lampe hinter ihr erschien ihr wie der rettende Scheinwerfer eines Leuchtturms.
Ritas Finger umkrallten ihre. »Psst … Hörst du das auch?«
Wasser rauschte. »Eine Klospühlung? Die Kanalisation?« Sie senkte ebenfalls ihre Stimme.
»Nein. Schritte. Aber noch weiter oben.« Sie standen beide und lauschten. Das Echo einer zerberstenden Tür hallte in den Gängen wider, als würde jeder einzelne Ziegel den Schall weiterleiten. Dann wurden die Schritte lauter. Aber nicht von einem einzelnen Mann, sondern von mehreren. Sie trampelten über ihre Köpfe hinweg. Das Klappern von Absätzen schlug sich an den Wänden und dröhnte in Gabriellas Ohren.
Rita stolperte weiter. »Komm«, ihre Stimme war nur ein Hauch. »Weg hier, ich habe ein ganz blödes Gefühl.«
Das hatte Gabriella ebenfalls. Sie waren jedoch nicht weit gekommen, als Rita entsetzt aufkeuchte und wie festgenagelt stehen blieb.
»Was ist?«
»Ich bin auf was getreten.«
»Lass mich vorgehen.« Gabriella schob ihre Freundin hinter sich und schlich weiter, gebückt und bei jedem Schritt zuerst mit den Schuhspitzen tastend. Und da geschah es: Ehe sie noch verstand, was – oder wen – sie berührt hatte, stand ihr ganzer Körper unter Strom. Ein Blitz zuckte durch sie hindurch, sie spürte das Gefühl von Verärgerung in sich vibrieren.
»Was machst du hier,
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