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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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SS-Leuten bewacht«, sagte ich. »Ich kann kaum hineingehen und sagen: ›Hallo, ich bin wieder da‹, um in die Waffenkammer zu spazieren, mir den Heiligen Gral unter die Jacke zu schieben und pfeifend hinauszulaufen.«
    Die Antwort meines Gastgebers überraschte mich.
    »Also«, sagte er offensichtlich verlegen, »eigentlich hatte ich mir ja etwas in dieser Art überlegt.«

20. Traditionelle Werte
     
    So kam es, dass ich die komplette Uniform eines SS-Standartenführers anzog und eine getönte Brille aufsetzte, die nicht ganz den Vorschriften entsprach. Ich saß im Fond einer offenen Mercedes-Offizierslimousine, die von einer Chauffeurin in der adretten Uniform des NS-Frauenbundes gelenkt wurde. Pfeil und Bogen meiner Chauffeurin lagen im Kofferraum. Sie steuerte den Wagen aus der versteckten Garage in die Morgendämmerung hinaus - und als wir Hensau hinter uns gelassen hatten, fuhren wir durch eine der schönsten Landschaften Deutschlands - sanfte, bewaldete Hügel, Berge am fernen Horizont, das helle Gold des Himmels, ein letzter roter Schimmer am Horizont. Ich sehnte mich nach der verlorenen Zeit, nach den Jahren meiner Kindheit, in denen ich allein durch solche Landschaften geritten war. Die Liebe zu meinem Land durchströmte mich und brachte mein Blut zum Singen.
    Irgendwie hatten wir uns in ein paar kurzen, blutigen Jahren von der Vorkriegsidylle des Jahres 1914 bis zu den gegenwärtigen Schrecken bewegt. Jetzt fuhr ich in einem schweren Wagen, der für die gewundenen Straßen viel zu groß war, und trug eine Uniform, die für all das stand, was ich verachten gelernt hatte. Rabenbrand steckte in einem umgebauten Gewehrfutteral und lag neben mir auf dem Boden des Wagens. Ich konnte nicht umhin, über die Ironie der Situation nachzudenken. Ich befand mich in einer Zukunft, die 1917 kaum jemand hätte vorhersagen können. Jetzt aber, im Jahre 1940, erinnerte ich mich an all die Warnungen, die man seit 1920 vernommen hatte. Jahre, in denen wir Antikriegsfilme, Lieder, Romane und Schauspiele erlebt hatten. Jahre der Analyse und orakelhafter Verkündungen. Waren es vielleicht sogar zu viele gewesen? Hatten die Vorhersagen die Lage, die sie verhindern wollten, vielleicht erst entstehen lassen?
    War die Anarchie, verglichen mit der tödlichen Disziplin des Faschismus, wirklich so schrecklich? Aus dem Chaos war ebenso viel Demokratie und soziale Gerechtigkeit entstanden wie aus der Tyrannei. Wer hätte schon den Wahnsinn vorhersagen können, der im Namen der ›Ordnung‹ über die Welt gekommen war?
    Eine Weile folgten wir der Hauptstraße nach Hamburg und konnten uns überzeugen, wie viel Betrieb inzwischen auf den Straßen, Eisenbahnlinien und Wasserwegen herrschte. Kurze Zeit fuhren wir auch auf einer ausgezeichneten neuen Autobahn mit mehreren Spuren in jede Richtung, doch bald bog Oona wieder ab, um auf Nebenstraßen nach Bek zu fahren. Wir waren nur noch fünfzig Kilometer von meiner alten Heimat entfernt, als Oona gleich hinter einer scharfen Kurve in einem Wald voll auf die Bremse trat, damit wir nicht auf einen anderen Wagen auffuhren, der mindestens so protzig war wie der unsere, mit Abzeichen und Flaggen der Nazis geschmückt. Eine abstoßende Kutsche, dachte ich. Wahrscheinlich gehörte das Fahrzeug einem prahlerischen örtlichen Funktionär.
    Wir fuhren langsam weiter, aber dann tauchte hinter dem Wagen ein hochrangiger SA-Mann auf und winkte uns, dass wir anhalten sollten.
    Wir hatten keine Wahl. Wir bremsten ab und blieben stehen und wickelten den förmlichen Gruß ab, der meiner Ansicht nach aus dem Film Quo Vadis? entlehnt ist und in dem gezeigt wird, dass die Römer angeblich auf diese Weise Freunde begrüßt hätten. Hollywood hatte der Politik einen pathetischen Anstrich verliehen.
    Als er meine Uniform und Rangabzeichen sah, gab sich der SA-Mann sofort unterwürfig und kriecherisch. »Verzeihung, Herr Standartenführer, ich fürchte, wir haben hier einen Notfall.«
    Aus dem geschlossenen Wagen stieg ein linkischer, schmächtiger Mann, der die typische, an eine komische Oper erinnernde Naziuniform trug, wie sie von den höheren Rängen bevorzugt wurde. Allerdings musste ich ihm zugute halten, dass er sich darin nicht wohl fühlte. Er zupfte an seinem Kostüm herum, als er zu uns kam, und salutierte eckig. Wir erwiderten den Gruß. Er schien ehrlich dankbar. »0 mein Gott, wie gut, dass Sie gekommen sind. Sehen Sie, Hauptmann Kirch, meine Instinkte lassen mich nie im Stich. Sie haben geglaubt,

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