Tochter Der Traumdiebe
anvertraut. Auch Wolfram von Eschenbach spricht von einer solchen Treuhandschaft. Ihr Vater, halb wahnsinnig, hat eine schwere Verantwortung auf sich genommen. Als er den Gral verlor, fühlte er sich verpflichtet, ihn zurückzuholen, und dabei tötete er sich selbst.«
»Er tötete sich selbst? Dann entsprechen Gaynors Anschuldigungen der Wahrheit! Ich hatte ja keine Ahnung …«
»Offenbar wollte die Familie einen Skandal vermeiden«, fuhr Prinz Lobkowitz fort. »Sie sagten, er sei bei einem Brand ums Leben gekommen, doch die Wahrheit, Graf von Bek, die Wahrheit ist, dass Ihr Vater von Schuldgefühlen erdrückt wurde. Schuldgefühle, weil Ihre Mutter gestorben ist, weil er versagt hat, weil er der Verantwortung, die auf der Familie lastete, nicht gerecht wurde. Wie Sie selbst wissen, fiel es ihm sogar schwer, sich den eigenen Kindern mitzuteilen. Doch er war weder ein Feigling noch ein Mann, der sich dem Unausweichlichen zu entziehen versuchte. Er bemühte sich, so gut er konnte, und starb bei dem Versuch.«
»Warum hat er denn so großen Wert auf den Gral gelegt?«, wollte ich wissen.
»Solche Objekte spielen in der deutschen Mythologie eine große Rolle und deshalb waren Hitler und seine Anhänger so versessen darauf, sie in ihren Besitz zu bringen. Sie glauben, mit dem Gral oder dem Schwert Karls des Großen in der Hand besäßen sie übernatürliche Kräfte und ihnen würden irgendwie die militärischen Mittel geschenkt, um Großbritannien zu schlagen. Großbritannien ist jetzt alles, was dem Triumph des Deutschen Reichs noch im Wege steht. Der Kelch ist in diesem Fall wichtiger als das Schwert. Das Schwert ist eine Waffe, die kein Eigenleben besitzt. Genau genommen sollten links und rechts neben dem Kelch zwei Schwerter angeordnet werden, damit die Magie zur vollen Entfaltung kommt; so habe ich es jedenfalls gehört. Ich weiß nicht genau, was Gaynor erreichen will, doch Hitler und seine Freunde sind überzeugt, dass etwas Entscheidendes geschehen werde. Ich habe Gerüchte über ein Ritual gehört, bei dem es um Blut im Kelch ging. Das klingt wie ein Märchen, was? Jungfrauen und magische Schwerter.«
»Wir müssen den Gral zurückbekommen«, sagte ich. »Deshalb sind wir hier.«
Lobkowitz antwortete leise und behutsam. »Ihr Vater fürchtete, Bek könnte untergehen, sobald der Gral aus der Obhut Ihrer Familie entfernt würde. Er fürchtete, die ganze Familie könnte untergehen. Sie sind jetzt der letzte noch lebende Sohn.«
Das war etwas, an das ich nicht eigens erinnert werden musste. Ich war immer noch bekümmert, weil meine Brüder im Großen Krieg gestorben waren. »Hat mein Vater den Brand, in dem er umkam, selbst gelegt?«
»Nein. Das Feuer entstand durch einen Dämon, der bereit war, Ihrer Familie bei der Erfüllung der Treuhandschaft zu helfen. Angesichts der Umstände eine ganz vernünftige Idee. Doch Ihr Vater war nicht mehr als ein Amateur, was die Zauberei betraf. Das Wesen wurde nicht ordentlich im Pentagramm gehalten. Statt den Gral zu verteidigen, hat es ihn gestohlen!«
»Der Dämon war Arioch?«
»Der ›Dämon‹ war unser Freund Klosterheim, der damals in den Diensten Miggeas, der Herrin der Ordnung, stand. Sie hatte beinahe den Verstand verloren und sah ihre Macht schwinden. Klosterheim diente Satan, bis Satan nicht mehr voll und ganz auf der Seite des Bösen stand und durch Vermittlung eines Ihrer Vorfahren, Graf von Bek, die Aussöhnung mit Gott suchte. Es war übrigens sogar Ihr Namensvetter. Ihr Ahne wurde von Satan beauftragt, den Gral zu finden und zu behalten, bis Gott und Satan sich wieder ausgesöhnt hätten.«
»Das sind phantastische alte Geschichten«, sagte ich. »Ihnen haftet noch weniger Wahres an als einer Legende.«
»Geschichten, die Ihre unmittelbaren Vorfahren lieber vergessen wollten«, sagte der Österreicher leise. »Doch mit dem Namen Ihrer Familie ist mehr als eine dunkle Legende verbunden - selbst in neuester Zeit gab es noch eine Legende aus Mirenburg, die mit roten Augen zu tun hatte.«
»Auch wieder so eine Geschichte, die von Bauern am Kaminfeuer erzählt wird«, sagte ich. »Eine Erfindung der Ungebildeten. Sie wissen, dass Onkel Bertie jetzt als höchst geachteter Mann in Washington arbeitet.«
»Genau genommen befindet er sich im Augenblick in Australien. Aber gut, ich will Ihnen nicht widersprechen. Sie müssen jedoch zugeben, mein lieber Graf Ulric, dass Ihre Familiengeschichte keineswegs so ereignislos verlaufen ist, wie man immer vorgegeben
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