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Tochter Der Traumdiebe

Tochter Der Traumdiebe

Titel: Tochter Der Traumdiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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Geist wie ein Spiegelbild, offenbar von einer schrecklichen, verzweifelten Eile getrieben. Ich wollte instinktiv ausweichen, doch der Verstand sagte mir, ich solle stehen bleiben.
    Der Mann kam mit ungeheurer Geschwindigkeit gerannt und ich war sicher, er würde mich umwerfen. Aber er blieb nicht stehen. Und er rannte auch nicht durch mich hindurch. Er rannte in mich hinein, mit gerüstetem Körper, mit dem Helm auf dem Kopf. Alles, was er war, drang in mich ein, den ordentlich gekleideten Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts, und verschmolz mit mir. Vor einem Augenblick hatte ich noch das Gefühl, eine einzige Person zu sein, jetzt waren deren zwei in mir.
    Zwei Männer, die beide ich selbst waren, existierten in einem einzigen Körper. Diese Tatsache stellte ich keine Sekunde infrage. Wie sollte ich auch!
    Auf einmal hatte ich zwei Gruppen von Erinnerungen. Zwei Identitäten, die sich stark voneinander unterschieden. Zwei zukünftige Lebenswege, zwei unterschiedliche Gefühlswelten. Aber ich hatte auch vieles mit meinem Doppelgänger gemeinsam. Einen überwältigenden Hass auf Gaynor und seine brutale Bande und alles, was sie hier und in meiner eigenen Welt darstellte. Die Entschlossenheit meines Doppelgängers verband sich mit meiner eigenen und stärkte sie, ergänzte meinen eigenen Zorn. Ich wusste sofort, dass genau dies seine Absicht gewesen war. Er hatte es darauf angelegt, unsere Kräfte zu vereinen. Und da er in so vieler Hinsicht derselbe war wie ich, konnte ich ihm blind vertrauen. Er konnte mich nicht anlügen, höchstens sich selbst.
    Jetzt begann das Schwarze Schwert zu pulsieren und zu murmeln, die roten Runen liefen wie Adern auf der vibrierenden Schneide entlang. Ich hatte ein Gefühl, als würde sich die Waffe in meinen Händen winden. Sie hob sich aus eigenem Antrieb, stieg in meiner Faust empor, bis ich sie schulterhoch hielt. Ich stieß einen wilden Kampfschrei aus, als das Schwert meinen Körper mit neuer Kraft erfüllte und tausend widerstreitende Gedanken und Gefühle mich durchzuckten. Dazu überkam mich eine unvertraute Todessehnsucht. Ich leckte mir die Lippen. Ich begann zu leben!
    Das Tier kehrt in den Stall zurück, der Spatz fliegt aufsein Feld. Schwerter vermählen sich, Seelen verbünden sich.
    Ich war es, der gesprochen hatte. Ein Mantra. Das Ende eines viel längeren Gesangs? Ein Zauberspruch. In einer Sprache, die eine Hälfte in mir überhaupt nicht verstand, während die andere sie vollendet beherrschte. Es war keine Sprache, die einer von uns üblicherweise sprach. Ich konnte meine Gedanken in beiden Sprachen formulieren und es waren fast dieselben, abgesehen davon, dass die ältere Sprache voller schwieriger Knacklaute war, voller Klicken und Zischen.
    Diese andere Sprache klang viel fließender und unermesslich alt. Keine menschliche Sprache war es. Etwas, das man lernen musste, Ton für Ton und Wort für Wort. Etwas, das mich viele Jahre der Qualen gekostet hatte, bis ich es konnte.
    Zwei Kelche für die Gerechtigkeit. Zwei Schwerter für die Harmonie. Zwei Seelen für den Sieg. Fürsten und Fürstinnen laufen auf den Strahlen des Mondes. Zwillinge befehligen die Schlange. Es fließt das Blut, es fließt der Wein. Es fließt der Fluss, so muss es sein. Zwillinge verkleiden sich und sind vereint.
    Mein Alter Ego konzentrierte sich auf das Mantra. Es hatte ihn in die Lage versetzt, diese erstaunliche Magie zu bewirken. Natürlich verstand ich alles auf einen Schlag, denn wir waren jetzt ein und dasselbe Wesen. Und da wir zwei Wesen in einem einzigen Körper waren, sah ich, dass dies auch vielen anderen Menschen möglich sein musste. Man konnte geistig gesund bleiben und verstehen, dass gleichzeitig viele andere Verkörperungen von einem selbst existierten. So viele Entscheidungen, Möglichkeiten und Schwierigkeiten. Verstehen, dass in jedem gegebenen Augenblick Millionen anderer Versionen von einem selbst auf einer Million nur geringfügig abweichenden oder radikal anderen Wegen wandelten. Fähig sein, das Multiversum als Ganzes zu sehen, in dem keine Welten mehr verborgen und keine Möglichkeiten ausgeschlossen sind. Ein überwältigendes Geschenk. Man musste nur die richtigen Wege finden. Jetzt verstand ich, wie verlockend dieses Leben war und warum Oona und ihre Mutter und die Mutter ihrer Mutter sich zwangsläufig dafür entscheiden mussten.
    Die unmittelbar drohende Gefahr geriet bei diesen weit gespannten Betrachtungen nicht in Vergessenheit. Ich war fähig, mich zu

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