Tochter des Drachen
Frau, die Chinn je gesehen hatte, und es kostete sie Mühe, ihr in die Augen zu blicken, während das Verlangen ihren Magen verkrampfte. »Was soll ich verstehen?«, fragte sie zurück, mit plötzlich rauer Stimme und einem Mund so trocken wie Sand.
Katana löste die Riemen ihrer schwarzen Baumwolljacke, ließ Chinns Blick jedoch nicht dabei los. »Solange du nur übst, erfährst du nie, was echte Angst ist. Man spielt nicht Kendo, man kämpft auf dem Weg des Schwertes. Du musst um dein Leben fürchten. Dann wird dein Geist mit deinem Körper eins - und das Schwert zu einer Erweiterung dieses Ganzen.« Mit den letzten Worten schob sie die Jacke von den Schultern und ließ die Keikogi zu Boden gleiten.
Chinns Brust war wie eingeschnürt. Der Anblick von Katanas schweißnassem Körper - hohe, runde Brüste: eine von Schweiß glänzende Bauchmuskulatur, schwellende Muskeln in ihren Oberarmen - drängte alles andere in den Hintergrund: Ärger und Müdigkeit, selbst den Alten Meister. Ihr Kopf fühlte sich leer an. Ihr war schwindlig und der Atem stockte.
Ob Mann oder Frau, Katana könnte jeden haben, den sie will, und trotzdem hat sie mich gewählt.
»So«, setzte sie an und musste schlucken, kämpfte gegen eine neuerliche Woge des Verlangens an. Ihre Stimme wurde kräftiger. »So kann ich nicht gegen Sie kämpfen, Tai-sho. Ich bin Amaterasu und eine Chu-sa. Ich habe Ihnen mein Leben geweiht.«
»Ja«, antwortete Katana, mit leiser, melodischer Altstimme. Sie trat aus dem Rahmen der am Boden liegenden Kleidung und streckte die Hand aus. Der Ballen ihres Daumens strich über Chinns Lippen, während sich die ihren zu einem Halbmond krümmten. »Aber mir deine Loyalität zu weihen und um dein Leben zu kämpfen, das ist zweierlei, hai? Also«, sagte sie und trat zurück. »Köre o kudasai.«
Tu das für mich. Chinns Zunge strich über ausgedörrte Lippen. Sie konnte Katanas Berührung noch immer fühlen.
»Sie wissen, ich gebe Ihnen, was immer Sie verlangen, Tai-sho«, flüsterte sie.
Katanas Lippen öffneten sich in einem stummen Lachen. »Später. Erst ...« Sie drehte um, ging zu einem lackierten Holzregal und nahm ein Katana mitsamt der Scheide. Sie balancierte das Schwert in beiden Händen. Plötzlich spannten sich ihre Züge und ihre Augen wurden schmal. »Kämpfen wir.«
»Bis zum ersten Blut«, erklärte der Alte Meister. Chinn zuckte zusammen. Sie hatte völlig vergessen, dass der Sensei ebenfalls hier war. Aber der alte Mann nahm keine Notiz von ihrem Unbehagen und zog sich schweigend auf seine Position zurück, um zu beobachten ... und zu werten.
Bald darauf standen sie einander mit blankem Katana kampfbereit gegenüber. Nach der Bruthitze in der Rüstung fühlte Chinn jetzt, wie der Schweiß auf ihrer Haut verdunstete, und plötzlich breitete sich eine Gänsehaut über ihre Arme aus. Das ist ernst. Das sind echte Katanas, und selbst im besten Fall wird es schmerzen wie der Teufel. Im schlimmsten Fall aber... Nein, daran wollte sie nicht einmal denken. Zum Schlimmsten würde es nicht kommen. Sie würde nicht zulassen, dass Katana etwas zustieß, und sie musste darauf vertrauen, dass Katana ebenso besorgt um sie war.
Sie dachte an ihr letztes Angriffsmuster zurück. Jetzt, in der Ruhe nach dem Sturm, erkannte sie auch ihren Fehler. In dem Sekundenbruchteil nach dem Beginn des Angriffs war sie so darauf konzentriert gewesen, einen Treffer zu erzielen, dass sie Katana selbst völlig aus dem Blick verloren hatte. Deren Konter war ebenso einfach wie vernichtend gewesen: Sie hatte Chinns Erwartungen mit einem klassischen De-bana-waza ausgenutzt, der den Schwung ihres Angriffs ausnutzte. Chinn war auf Katana zugesprungen, und sie hatte einfach abgewartet, bis Chinn nicht mehr zurückkonnte.
Chinns Blick glitt das Blatt ihres Schwertes entlang zu Katanas Kehle. Sie standen einander so nahe, dass sie sah, wie sich die Haut im Rhythmus des Pulsschlags bewegte. Der Anblick hatte etwas Verunsicherndes. Im Dojo, dem Trainingsraum, war sie gewohnt, nicht mehr als einen flüchtigen Eindruck von Katanas dunklen Augen und die vagen Umrisse ihres Gesichtes zu sehen. Mehr war unter dem Men nicht von ihr zu erkennen. Aber das ... Das gab ihrer Gegnerin eine Identität. Sie erinnerte sich an etwas, das ihr ein Ausbilder einmal erklärt hatte. Dass es einfacher war, jemanden zu töten, wenn dieser Jemand nur eine gesichtslose Figur im monströsen Rumpf eines Mechs war. Wieder schüttelte sich Chinn, aber diesmal nicht vor
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