Tochter des Drachen
auszublenden. Sie hörte den Atem durch ihre Nase pfeifen, verdrängte aber auch das. Von Katanas Position zwei Meter entfernt hörte sie ihre Tai-sho atmen: ein langer Atemzug, dann das Rasseln der aus der Lunge entweichenden Luft. Ein und aus. Und dann hörte sie eine Veränderung, so subtil, dass sie sie später nicht beschreiben konnte: ein Stocken, dann ein leises, kaum wahrnehmbares Knacken, wie das Schluckgeräusch einer trockenen Kehle.
Alarmglocken schrillten in ihren Gedanken. Jetzt, sie greift jetzt an! Chinn dachte nicht, sie handelte. Als Katanas lautes Kiai ertönte, zuckte Chinns Schwert bereits vor. Die Waffen prallten aufeinander, und Chinn schlug mit der linken Hand hoch und auswärts. Katanas Schwert durchschnitt nur Luft. Bevor sie sich zurückziehen konnte, griff Chinn an, schlug nach ihrem Kopf. Katana duckte sich und glitt zur Seite. Kurz aus dem Gleichgewicht gebracht, wurde Chinn vom Schwung der Attacke rechts an
Katana vorbeigezogen. Für einen Sekundenbruchteil wollte sie gegen die Schwerkraft ankämpfen, sich in einen schnellen Konterangriff drehen. Aber stattdessen ließ sie sich an der Tai-sho vorbeifallen, wandte sich auf dem linken Fußballen und wirbelte durch eine komplette Drehung. Gerade rechtzeitig: Katanas linkes Knie pumpte, als sie auf Chinn zurannte.
Eine plötzliche Eingebung: Sie erwartet, dass ich zurückweiche. Also tat Chinn das Gegenteil. Mit lautem Kiai sprang sie ihrer Gegnerin entgegen. Ihre Klingen klirrten im selben Augenblick gegeneinander, in dem ihre Körper aufeinanderprallten. Chinn, die kleinere und leichtere der beiden Frauen, wankte, fasste sich, und plötzlich starrten sie einander in die Augen, die Gesichter in einem glänzenden V eingerahmt von funkelnden Stahlklingen, so nahe, dass Katanas heißer Atem über Chinns Wangen peitschte.
Ich muss hier raus. Sie standen in einem Taiatari, die Klingen ineinander verhakt, die gefährlichste Stellung, die es für duellierende Schwertkämpfer gab. Chinn wusste: Die einzige Möglichkeit zur Flucht bestand darin, Katanas Schwert zur Seite zu bewegen, während sie ihren Körper zur Seite neigte und versuchte, die Gegnerin aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das Problem dabei war nur: Chinn war zu klein, und sie spürte bereits, wie Katana presste und Chinns Schwert beiseite zwang. Grunzend bemühte sich Chinn, die Stellung zu halten, bis Schultern und Arme vor Schmerz in Flammen standen. Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen, drückte mit aller
Macht dagegen, aufwärts und nach links, und gerade, als sie glaubte, Katana nicht länger halten zu können, zog sie einen letzten tiefen Atemzug ein und dachte:
Hochdrücken und dann in die Hocke fallen lassen, und sobald sie an mir vorbeigestürzt ist...
Dann ließ Katana los.
Entgeistert jaulte Chinn auf und stolperte überrascht vorwärts, erkannte viel zu spät, dass sie sich tatsächlich schon wieder verraten hatte. Dann dachte sie gar nichts mehr, als sie hörte, wie Metall die Luft zerschnitt, und den blitzartigen Hieb kommen sah.
Im letztmöglichen Moment rief der Otome Sensei: »Yame!«
Katana erstarrte, und Chinn fühlte den Biss des Metalls auf der empfindlichen Haut an der rechten Halsseite. Sie schloss die Augen, wusste, dass Blut in die Vertiefung zwischen ihren Brüsten rann. Hörte Katanas schweren, schnellen Atem. Wusste, dass sie mit dem Leben abgeschlossen hatte, als sie den Hieb kommen sah.
Chinn öffnete die Augen, schaute ihre Tai-sho an und ließ das Schwert scheppernd zu Boden fallen. »Und so hast du mich getötet.«
Einen Augenblick lang antwortete Katana nicht. Dann sah Chinn, wie sich die verkrampften Muskeln um ihr Kinn herum entspannten, die Schultern sich lockerten. Die Tai-sho hob das Katana von Chinns Hals, und Chinn konnte sehen, dass die Schneide blutig war.
»Dich getötet? Nein«, sagte Katana. Dann kam sie näher, und im nächsten Augenblick fühlte Chinn Katanas Zunge über ihren Hals streicheln, ihre Wunde liebkosen. Ihre Knie wurden zu Wasser, und ihr Atem stockte, als das heiße Verlangen wie eine Flutwelle durch ihre Adern schlug.
Katana nahm Chinns Gesicht in beide Hände. »Noch habe ich dich nicht getötet«, flüsterte sie, fuhr mit der Zunge über Chinns Lippen, und Chinn schmeckte den salzig metallenen Geschmack ihres eigenen Blutes. Stöhnend schloss sie die Augen, ertrank in der Wahrnehmung und hörte Katana leise wiederholen: »Noch nicht.«
Imperial City, Luthien Militärdistrikt Pesht, Draconis-Kombinat
15.
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