Tochter des Glücks - Roman
Geschenke, dennoch ist das Leben festlich und fröhlich. Überall hängt Z. G.s Plakat von mir. Plakate können innerhalb von zehn Stunden nach dem ersten Entwurf fertig gedruckt werden und dadurch sozusagen unmittelbare Anzeichen für die Stimmung, die Wünsche, die Strategie und die Positionen der Partei verbreiten. Nachdem Z. G. über Nacht berühmt wurde, werden wir zu Interviews und noch mehr Festessen eingeladen. Ich bekomme all die berühmten Delikatessen vorgesetzt – Affenhirn, Löwenkopf-Fleischbällchen, Schwalbennestersuppe, Haifischflossensuppe, Seegurke – und Reis, so viel ich essen kann. Wo wir auch hingehen, stellt mich Z. G. als seine Tochter und seine Muse vor. Ich widerspreche nicht, fühle mich jedoch immer noch nicht ganz wie seine Tochter und bin mir auch nicht sicher, ob ich seine Muse sein will. Seit der Ausstellung frage ich mich, ob ich Künstlerin sein könnte. Und wenn, was wäre dann die richtige Kunstform für mich – Maos Vorstellung, Z. G.s Vorstellung, die Dinge, die ich in westlichen Kunstbüchern gesehen habe? Wären hübsche Kalendermädchen wie meine Mutter und meine Tante dabei oder eher hübsche Arbeiterinnen, wie Mao vorgeschlagen hat? Und was wäre mein Thema? Kunst, die die Revolution verherrlicht, Helden preist oder die Parteipolitik unterstützt? Irgendwie passt das alles nicht so recht, ich bin meinen Emotionen ausgeliefert und kann nur an ein Thema denken: Tao.
Abends gehe ich lange aus und schlafe dann bis weit in den Tag hinein, aber ich habe immer Zeit – ich brauche die Zeit –, um über Tao nachzudenken. Ich verbringe Stunden damit, ihn aus dem Gedächtnis zu zeichnen, versuche, mir nur einen einzigen Finger in Erinnerung zu rufen. Immer wieder denke ich an die Maler der Song-Dynastie, die wussten, wie man das Wesen von etwas mit so wenigen Strichen wie möglich einfängt. Skizze um Skizze, Pinselstrich um Pinselstrich bringt mich näher zu Tao. So sehr liebe ich ihn. Währenddessen fällt mir auf, dass sich meine Technik verfeinert hat.
Im Januar fährt der Vorsitzende Mao nach Nan-ning, um eine Rede zum Beginn des Großen Sprungs nach vorn, wie er es nennt, zu halten. Seine Worte, die ich im Radio höre, erkenne ich als Fortführung dessen, was er Z. G. und mir auf der Ausstellung gesagt hat. »Es gibt zwei Methoden, etwas zu tun«, verkündet Mao, »die eine bringt langsamere und schlechtere Ergebnisse hervor, die andere schnellere und bessere.« Er will ab sofort die Wirtschaft kontrollieren. Er sagt, China kann binnen fünfzehn Jahren die britische Stahlproduktion übertreffen, genau wie er es an dem Abend in der Galerie behauptet hat, aber wenige Wochen später ändert er seine Meinung und setzt sich ein ehrgeizigeres Ziel. China wird es in sieben Jahren schaffen. Bald darauf richtet er sein Augenmerk auf Amerika. Er behauptet, China könne innerhalb von fünfzehn Jahren die Stahlproduktion und die landwirtschaftliche Produktion der Vereinigten Staaten überholen. »Wir müssen uns anstrengen«, verkündet er. »Ein paar Jahre harte Arbeit, tausend Jahre Glück.« Niemand versteht, was das bedeuten soll, aber wir sind alle begeistert.
Im Februar, nach gut drei Monaten in Peking, besteigen wir einen Zug Richtung Süden nach Shanghai, denn Z. G. möchte zum chinesischen Neujahrsfest zu Hause sein. Bei meiner Abreise aus Shanghai war es unglaublich heiß und feucht. Als wir nun aus dem Zug steigen, ist es nicht so eisig wie in Peking, aber dennoch ziemlich kalt. Die Kinder tragen so viele Schichten wattierter Kleidung, dass ihre Arme waagrecht abstehen. Die Erwachsenen sehen nicht viel besser aus.
Bei Z. G. zu Hause sehe ich wieder die Plakate von meiner Mutter und meiner Tante darauf im Salon. Ich hatte sie ganz vergessen. Dann begrüßen uns die drei Dienstmädchen, alle in schwerer, wattierter Kleidung. Sie bringen mich in mein Zimmer. Zur Straße hinaus hat es große, stahlgerahmte Fenster. Es ist Winter, deshalb kann die Sonne durch die kahlen Bäume ins Zimmer scheinen – das ist gut, denn das Haus von Z. G. hat ansonsten keine Heizung. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen Schminktisch, einen Spiegel, ein Doppelbett, einen eigenen Wandschrank und ein Bad. Aber es ist kalt! Ich ziehe meine Flanellunterwäsche, dicke Socken und einen zusätzlichen Pullover unter den Mantel, den mir Z. G. in Peking gekauft hat. Um den Hals wickle ich mir einen dicken Schal und ziehe auch noch meine Handschuhe an. Ich werde sie wohl im Haus tragen müssen, um
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