Tochter Des Krieges
Überschwang. Die Leute hießen nicht etwa Lancaster willkommen – Gott wusste, dass die meisten Engländer ihn verabscheuten –, sondern freuten sich über die Tatsache, dass das Schiff den französischen Monarchen als Geisel mit sich führte. Nichts hätte die Engländer fröhlicher stimmen können, als den französischen König als Gefangenen in ihrem geliebten London zu wissen, wo die Marktfrauen im Vorbeigehen Kohlköpfe nach ihm werfen konnten und Betrunkene an die Außenmauern des Gefängnisses pinkeln konnten, in das König Eduard ihn stecken würde.
Das Schiff segelte unter der Brücke hindurch, und Thomas duckte sich, während die Leute Brotlaibe und Leckereien für die siegreichen Heimkehrer hinabwarfen.
Als sie die Brücke ohne Schaden passiert hatten, richtete sich Thomas wieder auf. Banner und kleine Fahnen flatterten an jedem Fenster, so weit er blicken konnte, und die Glocken der St. Paul’s Kathedrale und auch aller anderen Kirchen in den Mauern Londons vereinten sich zu einem klangvollen Willkommenslied. Nicht nur brachte Lancaster den französischen König nach London, es war außerdem Weihnachtszeit, und die ganze Stadt hatte ihr Festtagskleid angelegt.
Thomas ließ den Blick über das Schiff schweifen. Lancaster, Gloucester und Bolingbroke waren an Deck erschienen, in prachtvolle Gewänder und Juwelen gehüllt, und hinter ihnen stand die gebeugte, missmutige Gestalt König Johanns, begleitet von einer Eskorte ehrwürdiger englischer Ritter. Lancaster blickte mit einem Leuchten in den Augen in die Ferne. Gloucester und Bolingbroke standen an der Reling des Schiffes und winkten den Menschen zu, die sich nun am Flussufer drängten.
Thomas schaute wieder nach vorn: Weit vor ihm, so weit, dass er es kaum erkennen konnte, machte die Themse eine große Biegung nach Süden. Am nördlichen, äußeren Ufer der Biegung lag Westminster, wo sich die Abtei und der sagenhafte Palast und Hof König Eduards befanden.
Doch sie segelten nicht direkt nach Westminster. Stattdessen hatte Lancaster den Kapitän des Schiffes angewiesen, am Savoy Palace Halt zu machen, seinem eigenen Wohnsitz am Strand, der Straße, die in südwestlicher Richtung von London nach Westminster führte. Der offizielle Empfang und die Begrüßung König Johanns durch König Eduard, seinem alternden Feind, würde am nächsten Tag stattfinden, und für heute wollten Lancaster und sein Gefolge im Savoy ausruhen.
Lancasters Palast war eins der prachtvollsten Gebäude in der ganzen Umgebung. Es stand am Nordufer der Themse, die Mauern des vom Fluss aus zu sehenden Gebäudes ragten mehrere Stockwerke hoch auf, die Steinfassade wurde von zwei Fensterreihen und drei massiven rechteckigen Türmen durchbrochen. Hinter den Nebengebäuden, in denen die Vorräte und Lancasters Männer untergebracht waren, befand sich der eigentliche Palast, ein riesiges Bauwerk, das einer Kirche ähnelte, mit großen gotischen Buntglasfenstern: Es war der passende Ort, um den französischen König zu empfangen.
Thomas hatte den Palast noch nie betreten. Obwohl er einen Großteil seiner Jugend mit Bolingbroke verbracht hatte, waren sie in dieser Zeit entweder auf dem Landgut der Nevilles im Norden oder auf Lancasters eigenen Ländereien gewesen.
Der Wind frischte auf, und Thomas kniff gegen die beißende Kälte die Augen zusammen. Das Schiff wurde nun langsamer, während es auf die Stufen zufuhr, die von einem kleinen Tor in der Außenmauer des Palastes zum Wasser hinunterführten. Eine Gestalt erwartete sie dort, eine Frau in mittleren Jahren, und als das Schiff am Ufer anlegte, stieg sie anmutig die Stufen hinab, lachte und winkte mit beiden Händen.
Lancaster sprang vom Schiff auf die Stufen und nahm die Frau in die Arme.
»Katherine! «, rief er.
Einen Moment lang schien die ganze Welt stillzustehen und nur noch aus diesen beiden zu bestehen, dann brach um sie herum ein Wirbel aus Bewegung, Lärm und Farbe los. Soldaten, Ritter, Edelknappen, Kammerdiener, Damen, Gepäckträger, Diplomaten, Edelmänner und ihre Damen und zahllose andere ergossen sich durch das Tor, das zur Palastanlage führte. König Johann brachte ein Lächeln zustande und ein Winken für die Londoner, die sich am Flussufer und auf der Brücke drängten oder sich aus Fenstern lehnten, und betrat dann hoheitsvoll die Stufen. Lady Katherine Swynford machte einen tiefen Knicks vor der königlichen Geisel und sprach ein paar höfliche Begrüßungsworte mit leiser Stimme, die dennoch so
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