Tochter Des Krieges
auf, die Damen anzustarren und steig ab. Von der Tribüne aus haben wir eine viel bessere Sicht.«
Kapitel Sechs
Nach der Non am Fest der Geburt
Unseres Herrn Jesus Christus
Im einundfünfzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III. (Sonnabendnachmittag, 25. Dezember 1378)
– WEIHNACHTSFEST –
– I –
»Ja? Was gibt es?« Der schwarze Prinz blickte von dem Brief auf, den er gerade an seine Gemahlin schrieb. Raby war in sein Gemach getreten und schwenkte etwas in seiner Hand.
»Herr! Es ist ein Brief…«
Der schwarze Prinz seufzte verärgert. Er fühlte sich nicht gut und wollte eigentlich nicht gestört werden.
»… von Eurer Gemahlin Johanna.«
»Was?« Eduard stand ein wenig schwankend auf, fing sich aber sogleich wieder und trat Raby in der Mitte des Gemachs entgegen.
»Ein Bote hat ihn an den Stadttoren abgegeben, mein Fürst«, sagte Raby.
Der schwarze Prinz warf einen Blick auf das Siegel – es war tatsächlich von Johanna! – und riss den Brief auf. Sie waren bereits seit über einer Woche in Bordeaux, und schon nach dieser kurzen Zeit plagte den Prinzen zunehmend die Langeweile. Er vermisste Johanna schrecklich und wünschte sich nichts mehr, als während der Feiertage mit ihr zusammen zu sein.
Er überflog den Brief kurz. »Gütiger Herr im Himmel! Raby, Johanna ist auf dem Weg hierher! «
»Was? Das kann nicht sein… seid Ihr sicher?«
»Ganz sicher! « Der schwarze Prinz wedelte mit dem Brief. »Sie hat London kurz nach Lancasters Ankunft verlassen, weil sie das Weihnachtsfest mit mir verbringen will. Es sollte eine Überraschung sein, aber ihr Schiff musste in Blaye anlegen, weil der Kapitän so starke Zahnschmerzen hatte, dass er nicht weitersegeln konnte, ehe der verrottete Zahn nicht gezogen war. Herr im Himmel, Raby, Blaye liegt nur etwa zwanzig Meilen nördlich von hier! Johanna ist inzwischen sicher schon unterwegs zu uns! Kommt, Mann! Wir wollen ihr entgegenreiten! «
Und ehe Raby Einspruch erheben konnte, war Eduard aus seinem Gemach geeilt und rief nach seinem Pferd.
Kapitel Sieben
Vesper am Fest der Geburt Unseres Herrn Jesus Christus
Im einundfünfzigsten Jahr der Regentschaft Eduard III.
(Sonnabend, früher Abend, 25. Dezember 1378)
– WEIHNACHTSFEST –
– II –
Weihnachten war stets die geschäftigste Zeit des Jahres am englischen Hof – und wurde nur noch von dem Begräbnis eines Königs und der Krönung seines Nachfolgers übertroffen. Für die königliche Hofhaltung Lancasters begannen die religiösen Riten des Weihnachtsfestes mit der Christmette um Mitternacht in der Kapelle des Savoy, gefolgt von der Angelnsmesse bei Tagesanbruch und fanden ihren Höhepunkt in der Festmesse zur Mittagszeit. Abgesehen von einigen Wachen besuchte der gesamte Haushalt alle drei Messen; selbst die Köche, denn die Weihnachtsfeier und Lustbarkeiten des Abends sollten im großen Saal in Westminster stattfinden, ausgerichtet von König Eduard. Alle drei Messen waren von Hochstimmung und Besinnlichkeit begleitet. Nun, zur dunkelsten Zeit des Jahres, war Christus geboren worden und kündigte die Wiederauferstehung der Sonne am düsteren und doch zugleich frohen Osterfest an. Die Sonnenwende war vorbei und der Winter gekommen, aber ebenso der neugeborene Christus und mit ihm neue Hoffnung.
Während der Festmesse war die Kapelle von Licht erfüllt – über dreitausend Kerzen waren angezündet worden, und das kalte Mittagslicht drang durch die Buntglasfenster herein –, von Weihrauch und den Stimmen des Chors. Neben dem Altar war unter einer Alabasterstatue der Jungfrau Maria und dem Christuskind eine Krippe aufgebaut worden: mit einer Kuh und einem Esel aus Stroh. Lancaster, Katherine, Bolingbroke und ihre nächsten Angehörigen saßen auf reich verzierten Kirchenbänken an der Stirnseite des Mittelschiffs. Thomas stand neben einer der Säulen, die das Mittelschiff von den Seitenschiffen trennten. Hinter Lancasters Familie befanden sich zahlreiche Ritter und ihre Damen, dahinter etwa hundert Soldaten und hinter diesen wiederum die vielen Bediensteten, die den größten Teil des Hauswesens der Lancasters ausmachten. Zu beiden Seiten des Mittelschiffs standen zahllose Mönche und Geistliche, die nicht Teil des Chors waren, aber in irgendeiner Weise zur Kapelle des Savoy oder Lancasters Hof gehörten. Thomas musterte sie sorgfältig, doch Wycliffe entdeckte er nicht unter ihnen.
Margaret stand inmitten der Damen und Ritter. Sie blickte
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