Tochter Des Krieges
nicht nach links oder rechts – sie schien Thomas jedenfalls nicht zu bemerken, der hin und wieder zu ihr hinübersah –, sondern hielt den Blick auf das Kruzifix vor dem Altar gerichtet, ihre Lippen murmelten ein Gebet, während ihre Hände ein kleines Gebetbuch umklammert hielten.
War sie wirklich so ergriffen oder täuschte sie ihre Frömmigkeit nur vor?
Lancasters Kaplan erhob sich, um die Weihnachtspredigt zu halten, eine rechtschaffene, aber reichlich ausschweifende Rede über die Strenge des Lebens eines wahren Christen, und Thomas stellte fest, dass seine Gedanken abschweiften.
Plötzlich bemerkte er eine Bewegung am hinteren Ende der Kapelle.
Wycliffe, der im Schatten einer Säule stand, musterte Thomas genauso sorgfältig wie dieser die Menschen um sich her beobachtet hatte.
Er nickte, als er sah, dass Thomas ihn entdeckt hatte, und trat dann wieder in den Schatten zurück.
Thomas durchlief ein Schaudern.
Der Dämon wagte es, sich sogar zur heiligsten aller Messen in einem Gotteshaus zu zeigen!
Er starrte zu der Stelle hinüber, wo Wycliffe verschwunden war, aber dieser blieb im Dunkel, und schließlich richtete er den Blick wieder auf die Gemeinde… und versank in Grübeleien…
Der schwarze Prinz hatte Bordeaux mit einer Eskorte von einigen hundert Männern verlassen. Die Stadt befand sich zwar tief in englischem Gebiet, doch er wollte kein Wagnis eingehen, was das Leben und die Gesundheit seiner geliebten Gemahlin betraf. Wenn er Glück hatte, wäre sie schon bei Anbruch der Dunkelheit bei ihm!
Doch das Glück war ihm nicht hold. Sobald Bordeaux außer Sicht war, verwandelte sich das regnerische Wetter in einen Wintersturm mit Schneeschauern und einem Wind, der die Reiter bis auf die Knochen durchdrang. Der schwarze Prinz versuchte trotz des Sturms weiterzureiten, doch das erwies sich als ganz und gar unmöglich, und so stimmte er Raby widerstrebend zu, dass es besser sei, im Windschatten eines Hügels Schutz zu suchen.
War dieser Sturm auch über Johanna hereingebrochen?
Oder war sie so vorsichtig gewesen, in Blaye auf ihn zu warten?
Innerhalb einer Stunde steckte der schwarze Prinz in größten Schwierigkeiten. Seinen Männern war es gelungen, ein kleines Feuer zu entfachen und auch dafür zu sorgen, dass es nicht ausging, doch alle Wärme, die es abstrahlte, wurde fortgeweht, bevor sie diejenigen erreichen konnte, die sich darum drängten. Der schwarze Prinz saß am Boden, dick in Decken und Umhänge gehüllt, sodass nur seine Augen und die Nase hervorschauten.
Doch das wenige, was man von ihm sah, war alarmierend genug. Die Augen des Prinzen glänzten von einem Fieber, das ihm alle Kräfte raubte, und seine Haut war so blass, dass sie fast durchscheinend wirkte – Raby hätte schwören können, dass er unter dieser dünnen Schicht die Knochen des Prinzen erkennen konnte.
Eduards Körper unter dem Stapel Decken zitterte erbärmlich.
Fast schien es, als würde der Sturm ihm mit jedem Windstoß mehr Lebenskraft entziehen.
Raby stand neben ihm, trotzte den Windböen und fühlte sich doch zum Nichtstun verdammt. Er wusste, er hätte den Prinzen dazu überreden sollen, in Bordeaux zu warten. Gütiger Herr im Himmel das Leben des Prinzen war wichtiger als das seiner Gemahlin!
Er wollte gerade vorschlagen, dass sie sich einen Bauernhof, eine Scheune oder etwas Ähnliches suchen sollten, um den Sturm abzuwarten, als von weitem ein Schrei ertönte.
»Mein Fürst!«
Ein Mann tauchte aus dem Sturm auf und kämpfte mühsam dagegen an.
Raby wischte sich den Schnee aus dem Gesicht und blickte zu dem Mann hin. Es war Wat Tyler, einer von Lancasters Männern, die der Herzog in der Streitmacht seines Bruders zurückgelassen hatte.
»Herr«, sagte Tyler und rang keuchend nach Luft, während er neben Raby trat. »Da ist etwas… «
»Was?, sprich, Mann!«
»Da ist etwas in dem Sturm, mein Fürst. Etwas Übles und Unheilvolles.«
Erst eine Stunde vor der Vesper gelang es Thomas endlich, mit Hal in dessen Gemach in Ruhe zu sprechen.
»Du lieber Himmel!«, sagte Hal, als er Thomas durch die Tür hereinzog und mit ihm zum Fenster hinüberging. »Ich habe mich das halbe Weihnachtsfest lang gefragt, was du mir mitzuteilen hast!«
»Verzeih mir, Hal, aber das Turnier und die Lustbarkeiten schienen mir nicht die passende Gelegenheit. Dort gab es zu viele Augen und Ohren.«
Bolingbroke warf Thomas einen prüfenden Blick zu. »Vertraust du Hotspur etwa nicht?«
Thomas zuckte hilflos die
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