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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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Platz.
    Als sie ein junges Mädchen war, war es unmöglich, sich mit Hildebert zu verheiraten, weil er keinen Titel hatte, wie sie selbst einen trug. Aber eine Witwe kann jedweden Mann nehmen, den sie wünscht, ihre Eltern sind außerdem längst tot und hätten auch kein Wort zu sagen gehabt. Meinhardt würde auch nichts einzuwenden haben, könnte er doch dann den Hof schneller übernehmen. Sophia liegt jede Nacht wach und hat am Tag Kopfschmerzen. Jutta, die Hildegard mit sich in die enge Zelle nimmt, ist ein Bild, das sich verzerrt in einem Fluss spiegelt, bis ein Fisch mit der Schwanzflosse schlägt und die Erscheinung in Schuppen und Flusswasser auflöst, sodass es nicht mehr Jutta und das Kind sind, die sie sieht, sondern sich selbst, die als Frau des Hauses in Bermersheim durch den Speisesaal geht.
    Sophia weiß, dass der Herr direkt in ihre verrußte Seele sehen kann. Sie bittet nicht länger um Vergebung, es gibt Sünden, die sie nie gebeichtet hat. Sie sagt sich, dass manche Frauen sich nicht dazu eignen, alleine zu leben, dass sie Meinhardts Erbe schützt, indem sie nicht wieder heiratet. Versteht der Herr sich auf die Natur der Frau, denkt sie, die Natur, die er selbst erschaffen hat, wird er sich gnädig zeigen. So wie der Fluss über seine Ufer tritt, hat auch sie geheime Flüsse und Seen, die sie zum Schäumen bringen, glatt und sanft, ihren Duft dazu bringen, Männer zu sich zu rufen. Dennoch tröstet es sie, dass Juttadas Klosterleben gewählt hat. Gott wird es als einen mildernden Umstand sehen, wenn er am Jüngsten Tag sowohl ihre als auch Meinhardts Seele wiegt.
    Nachts lässt die Dunkelheit die Welt fremd erscheinen, aber die fremde Welt ist genauso unveränderlich, wie es das Gemach am Tag ist. Es ist nur eine Frage des Kennenlernens. Sophia setzt sich im Bett auf und wartet darauf, dass sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Die Glut in der Feuerstelle gleicht Nieren und Herzen. In der Dunkelheit ist die Welt in Wirklichkeit klein und einfach, wenn die Einzelheiten fort sind. Die Dunkelheit feilt die geschnitzten Weinreben aus den Bettpfosten und macht sie schwer und glatt, die Dunkelheit wäscht die Farbe aus dem Betthimmel und den gewebten Wandteppichen, glättet die Striche auf ihren Händen, die die Jahre hinterlassen haben. Sophia lässt sich schwer zurück in die Kissen fallen. Wenn sie nicht Angst hätte, das Gesinde aufzuwecken, würde sie aufstehen. Aber der Gedanke an die verwunderten Blicke veranlasst sie, liegen zu bleiben. In diesem Bett lag sie mit ihrem Mann. In diesem Bett starb er. In diesem Bett nahm sie zum ersten Mal einen anderen Mann. Es ist ein dicker, fest geflochtener Zopf, der durch die Finger gleitet, all dieses Leben, aus dem niemand klug wird.
 
    Während Sophia sich hin und her wälzt, steht Jutta auf, um zu beten. Der Hunger brennt unter ihren Rippen, obwohl Sophia sie ständig nötigt zu essen. Jutta geht das ganze Jahr über auf nackten Füßen, um ihren Körper zu züchtigen, auch besteht sie darauf, auf einer Matratze aus Pferdehaar anstelle des feinen Federbetts zu schlafen. Selbst wenn sie betet, wandern ihre Gedanken, denn sie ist eine furchtbare Sünderin. Vater Thomas sagt, man solle sich selbst züchtigen, aber weder Körper nochSeele für Sünden strafen, die man nicht begangen hat. Er sagt, sie solle es Gott erlauben, ihre Sinne in der gleichen Weise zu öffnen, wie er die verborgenen Glieder einer gebärenden Frau löst. Er sagt, ihre Ungeduld mit sich selbst und ihre Verzweiflung darüber, die Welt nicht aus ihren Gedanken ausschließen zu können, sei mit den Wehen der Gebärenden vergleichbar. Aber Wehen sind echte Schmerzen, und wenn Jutta bemerkt, dass ihre Gedanken fliegen, beißt sie sich in die Lippe. Als sie einmal ein Loch hineingebissen hatte, zeigte Vater Thomas auf ihre schorfige Lippe und sagte, es sei nicht richtig, dem Körper Wunden zuzufügen, um die Gedanken im Zaum zu halten. Das ist, sagte er, nur eine weitere Art, die Gedanken von Gott abzulenken, und sie wusste, dass er direkt in sie hineinsehen konnte. Andere Male erklärt er ihr, dass die heiligen Männer, die in der Wüste umherwanderten, um Gott zu suchen, gerade dem Körper entsagten, um ein jedes Band zu lösen, das sie an diese flüchtige Welt fesselte. Es war der fromme Wunsch, so zu werden, wie Gott sich den Mensch gedacht hatte, bevor Eva sich gegen den Herrn versündigte und die verbotene Frucht aß. Dieser Wunsch brachte sie dazu, zu entsagen, bis sie nicht

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