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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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zuerst war es nur ein Willensakt, eine Danksagung. Danach würde es ein Ruf werden so stark, dass nichts ihn übertönen konnte.
    Während sie zu Kräften kam, fühlte sie die ganze Zeit über dieses euphorische Glück. Erst eines späten Nachmittags, viele Wochen später, als sie alleine auf der Bank an der Südseite des Haupthauses saß, dachte sie an Wilhelm. Es war beinahe, als ob es sie nichts mehr anginge, obwohl sie vor ihrer Krankheit an nichts anderes als ihn gedacht hatte. Dennoch begann derTeufel gleich mit seinen Späßen, gierig und begehrlich bei der Aussicht, sich an der Sünde satt essen zu können. Er stieß mit den Hörnern nach ihr und flüsterte: Dann musst du dich damit abfinden, aus zweiter Hand von seiner Ehe und seinen Nachkommen zu hören. Dann musst du dich damit abfinden, deine Kusine an seiner Seite zu sehen, stolz und hochmütig wird sie sein, dich kaum eines Blickes würdigen, dich bemitleiden, dass du ins Kloster gingst, und nicht ein einziges Mal wirst du bei ihm liegen.
    Sie suchte Zuflucht in der Kapelle, und dort traf sie die Erkenntnis, dass sie auf diese Weise an Wilhelm gedacht hatte, weil sie es ihm schuldig war, es selbst zu sagen und ihn ihre Entscheidung nicht auf Umwegen erfahren zu lassen. Mit diesem Gedanken tröstete sie sich, bis sich die Möglichkeit ergab, ihn wiederzusehen.
    Es war bei der Messe zum Gedenken an die Wiederfindung des Kreuzes, und da sie sicher war, Wilhelm würde da sein, bereitete sie sich genau darauf vor, was sie sagen sollte. Es hatte viele Tage heftig geregnet, und der Weg zur neuen Kirche in Sponheim war ein einziger Schlamm. Der Verwalter hatte sich am Tag zuvor mit dem Wagen in einer Lache der Talsenke festgefahren, und als er endlich freigekommen war, hatte er einen Mann passiert, dessen Wagen umgestürzt und völlig demoliert war. Sophia wollte die Messe und den Markt keinesfalls versäumen, wollte aber noch weniger ihre eigene Sicherheit und die ihrer Kinder auf einem unbefahrbaren Weg riskieren. Meinhardt bestand darauf, aufzubrechen, auch wenn er allein reiten müsse. Sophia sagte nichts. Sie wusste, dass die Mädchen und die Bierkrüge in den Marktzelten ihren Erstgeborenen mehr anzogen als die Messe. Etwas anderes war es mit Jutta – sie wurde bleich und verschlossen, als Sophia ihre Sorgen wegen desWegs äußerte. Sie sagte nichts, sah nur steif hinunter auf den Boden. Sophia deutete Juttas Verärgerung als ein Zeichen, dass der Weg auf sich genommen werden müsse, ungeachtet aller Widrigkeiten.
 
    Schon als die Prozession in die noch unfertige Kirche zur Kreuzmesse einzog, konnte Jutta Wilhelm in der Menge ausmachen. Er stand zwischen seinem Vater und seinem ältesten Bruder und machte keine Anstrengungen, seinen neugierigen Blick zu verbergen. Er glotzte sie an, dass sie den Blick senken musste.
    Sie hatte ihm ihr Versprechen unmittelbar vor Maria Himmelfahrt letztes Jahr im August gegeben. Conrad von Stauderheim, Wilhelms Vater, hatte bei Sophia einige Angelegenheiten zu regeln. Das Gespräch sollte hinter verschlossenen Türen vorgehen, und Sophia schickte sowohl Jutta als auch das Gesinde hinaus.
    Sie kannten einander ausgezeichnet, Jutta und Wilhelm, sie hatten als Kinder zusammen gespielt, damals hatte sie ihn unerträglich gefunden, er wusste immer alles besser, und Meinhardt und er hatten sich mehr als einmal geprügelt. Aber jetzt waren er und Meinhardt Freunde und ritten oft zusammen auf die Jagd. Es war lange her, dass Jutta ihn gesehen hatte, er war sehr beschäftigt bei Hofe, wo er sich als einer der besten Bogenschützen auszeichnete. Er interessierte sich für Jagdfalken und verbrachte viel Zeit mit dem Falkner des Schlosses, um etwas über die Aufzucht der kostbaren Vögel zu lernen. Davon sprach er, als Jutta ihn bat, sich ihr gegenüber an die Feuerstelle zu setzen. Obwohl es schon längst hätte Sommer werden sollen, war das Wetter von einer unerbittlichen Rauheit, Nässe und Wind durchdrangen die Kleidung. Erst als sich Wilhelm setzte, sah sie ihn richtig. Es war eine bestimmte Bewegung, die er mit dereinen Hand machte, wenn er sich durchs Haar strich, sodass es nach allen Seiten abstand. Jutta sah ihn an, ohne ein Wort zu sagen, er sprach über die Vögel und das Pferd und die Jagd, von der er hoffte, sie werde gut. Dann schwieg auch er, und was sich in eine peinliche Stille zwischen ihnen hätte entwickeln können, wurde zu einer angenehmen Wärme. Was er in Juttas ernstem Gesicht sah, erfuhr sie einen

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