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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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Augenblick später, als er sich mit einer ungeahnten Heftigkeit vor ihre Füße warf. Er bekannte, einer größerer Schönheit als der ihren sei er nie begegnet. Jutta wich zurück, überrascht und erschrocken, und er stand auf, plötzlich beschämt, trat ein paar Schritte zurück und entschuldigte sich stammelnd für sein Auftreten. Er hatte sich ans Fenster im am weitesten entfernten Winkel der Stube gestellt und sich mit dem Rücken zu ihr gegen die Wand gelehnt. Sie hatte über seine Verlegenheit lachen müssen, darüber dass er einem kleinen beleidigten Jungen glich. Sie hatte ihr Lächeln hinter der Hand verborgen, aber das Lachen war ihr doch herausgerutscht, sodass er sich zu ihr umdrehte, rasend und rot im Gesicht. Also war die Reihe an ihr, sich zu entschuldigen und an ihm, zu lachen. Da erkannte sie ihren Spielkameraden wieder, und die Befangenheit zwischen ihnen verschwand. Sie spielten Dame, und er gewann, triumphierte aber nicht, wie damals, als er noch ein Junge war, er scherzte nur und erzählte unglaubliche Geschichten. Jutta konnte sich nicht erinnern, wann sie sich zuletzt so gut amüsiert hatte.
    Über Mittag tauchten Sophia und Conrad endlich wieder aus der kleinen Stube auf. Sie hatten eine Verständigung erzielt, und sie hatte ihren Gast eingeladen, die Lagergebäude und Stallungen zu sehen. Obwohl der Wind sich nicht spürbar gelegt hatte, war es aufgeklart, und Jutta reckte sich auf dem Hofplatz, streckte beide Arme in die Luft der Sonne entgegen, als wollesie sie herunterziehen und sich an ihr wärmen. Wilhelm blieb stehen und sah sie an. Da überkam sie wieder dieses beunruhigende und verlockende Gefühl wie zuvor, als sie den Schimmer eines fremden Mannes in dem Jungen gesehen hatte, den sie zu kennen glaubte.
    Wilhelm wollte die Pferde sehen, und Jutta begleitete ihn zum Stallgebäude. Sie wollte nicht mit hinein, sie hatte Angst vor den großen Tieren, seit sie als kleines Mädchen gesehen hatte, wie einem Stallburschen vom Schlachtross ihres Vaters das Gesicht zertreten wurde. Sie blieb draußen stehen, hörte Wilhelm im Halbdunkel mit einem Knecht sprechen, hörte die Pferde wiehern, stellte sich Wilhelms Hände vor, die über ihr dunkles Fell strichen, die warmen Mäuler, die ihn leicht anstießen. Sie schämte sich ihrer eigenen Fantasie, fühlte sich mit einem Mal so närrisch, vor dem Stall zu stehen und auf ihn zu warten. Sie ging um das Haus herum, ließ die Hand entlang der unebenen Steinmauer gleiten, besuchte den Rosengarten, aber er fand sie.
    Noch vor der Abenddämmerung hatte sie ihm ihr Versprechen gegeben. Sie stand neben Sophia, als er mit seinem Vater den Weg hinunterritt. Die Pferde schlugen mit den Schweifen, fielen in Trab und verschwanden im Wald. Sie schnappte nach Luft und versank in Träumen von der unwirklichen Zukunft: dass sie ihm gehören sollte.
    Sie hatte ihm ihr Versprechen im Rosengarten gegeben, während der Augustwind an ihnen beiden zerrte und riss und die Dornenzweige gegen die Erde schlugen, und jetzt sah er sie quer durch die Kirche an, als sei sie sein Besitz. Seine Eltern waren mit der Werbung einverstanden, sagte er, als sie sich das erste Mal seit jenem Nachmittag trafen, und Sophia und Meinhardt würden kaum einen Grund finden, zu protestieren. Dennochwollte er es einige Jahre geheim halten, sodass niemand über ihn lachen und sagen konnte, er sei nicht Manns genug zu heiraten.
    Wilhelm lachte offen und ansteckend, als sie nach der Messe auf ihn zuging, und er verbeugte sich, ohne die Augen von ihr abzuwenden. Sie war krank gewesen, das wusste er, sie hatte um ihr Leben gekämpft, hatte die Krankheit aber überwunden und stand jetzt vor ihm. Sie war bleich und dünner als zuletzt, ihre Augen tränten in dem klaren Licht. Sie erwiderte weder sein Lächeln noch seinen Blick, hielt eine Armeslänge von ihm entfernt an und leierte ihre Botschaft herunter, so schnell und monoton wie einer, der im Schlaf redete. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt, ließ ihn zerschlagen und gedemütigt zurück, während sie sich unter die Plane auf den Wagenkasten setzte, fest entschlossen, nicht am Markttag teilzunehmen, egal, wie sehr Sophia lockte und drohte. Kunlein wurde abbestellt, Wache zu halten, und der Kutscher lachte über ihren verärgerten Gesichtsausdruck, als sie begriff, dass sie Kindermädchen spielen sollte. Auch sie versuchte, Jutta zu locken, sagte: Sieh dir den Bärendompteur an, sieh den Feuerschlucker, und kannst du die mit Honig gerösteten

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