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Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Lise Marstrand-Jørgensen
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gesaugt. Uda bugsierte sie auf die Bank und fachte die Glut an, sodass sie das Kind in dem Feuerschein besser sehen konnte. Sie zitterte und klapperte mit den Zähnen, die Kleine, sah so entsetzt aus und wie im Wahn, dass Uda das Kreuzzeichen vor der Brust schlug. Sie wollte weder sprechen noch essen, und als Uda die Milch in sie hineinzwang, hätte sie sich beinahe übergeben. Schließlich nahm Uda das Kind auf den Schoß. Sie wog nicht viel, und ließ es ohne weiteres mit sich geschehen. Uda legte beide Arme fest um sie, wiegte sich mit dem Kind vor und zurück, bis Hildegard einschlief. Sie saß lange da und betrachtete das schlafende Mädchen. Die Lippen des Mädchens waren beinahe blau, und sie hielt Udas Kleid krampfhaft gepackt. Als Uda von Müdigkeit übermannt wurde, trug sie Hildegard zum Bett und legte sich mit ihr in den Armen zwischen die eiskalten Decken und Vliese.
    Erst als sich die Mönche um drei Uhr morgens in der Kirche versammelten, um die Matutin zu singen, wachte sie wieder auf. Das Kind lag mit dem Kopf an ihrer Schulter, ihr Arm war von der Last gefühllos. Vorsichtig zog sie ihren Arm weg, aber das Kind griff im Schlaf nach ihrem Ärmel und klammerte sich daran. Als sie sich freigemacht hatte, wollte sie hinüber zu ihrem eigenen Bett schleichen, aber der Laden zu Jutta stand offen, und die junge Frau drückte ihr Gesicht gegen die Gitterstäbe.
    »Wo bist du gewesen?«, fragte Jutta.
    »Ich half Hildegard einzuschlafen.«
    »Hildegard soll alleine schlafen.«
    »Das tut sie nun.«
    »Widersprich mir nicht. Niemals.«
    Jutta schloss die Läden, und Uda war voller Scham und Wut. Sie konnte danach nicht mehr einschlafen, obwohl es immer noch dunkel war. Sie setzte sich in das Gelass und sah in die Glut, döste vielleicht ein wenig, aber schlief nicht richtig ein. Die Läden zu Jutta blieben verschlossen, und sie sah keinen Grund, Hildegard zu wecken, es sei denn, Jutta verlangte es.
 
    Hildegard wurde von den Strapazen und davon, so lange auf dem kalten Boden gelegen zu haben, glücklicherweise nicht krank. Sie klagt nur über Schmerzen in der Schulter, und als Uda das näher untersuchen will, entdeckt sie ein flügelförmiges blaues Mal, das sich vom Schlüsselbein über den Oberarm ausbreitet.
    »Ich bin gestürzt«, erklärt Hildegard, »deshalb habe ich geweint.«
    Mehrere Tage geht Uda alleine mit dem Kind umher und wartet auf Juttas Instruktionen. Sie will das Mädchen bei diesem starken Frost nicht mit nach draußen nehmen. Hildegard folgt ihr unruhig mit den Augen, wenn sie die Tür aufschließt und geht, aber wenn sie zurückkommt, sieht es dennoch nicht so aus, als habe es dem Kind etwas ausgemacht, alleine zu sein. In all dieser Zeit isst Jutta nichts. Uda wagt nicht, sie zu fragen, wie lange sie fasten wird. Es geht sie auch nichts an, sie soll sich auf Hildegard konzentrieren. Wäre es nicht wegen des Kindes, wäre sie gar nicht mit ins Kloster gekommen. Sie stellt die Kanne mit dem dünnen Bier auf den Drehteller, leert den Nachttopf und sagt nichts. Sie kann Jutta rumoren hören, wenn die Stundengebete gesprochen werden, aber nach fünf Tagen kann Uda nicht länger so tun, als sei nichts. Sie wartet vor der behelfsmäßigen Schreibstube, die im einzigen fertigen Steingebäude eingerichtet ist, auf Abt Kuno. Ihr ist nicht wohl dabei, ihre Loyalität gegenüber Jutta zu brechen, aber sie fürchtet, dass die junge Frau krank ist oder auf der anderen Seite der Wand verhungert. Zwar hat sie nur das Kind in ihrer Obhut, aber stirbt Jutta, ist sowohl ihre als auch die Lage des Kindes mehr als unsicher.
    Der Abt hat die Kapuze hochgeschlagen und die Hände in den Ärmeln verborgen, als er vom Kapitelsaal in den Kreuzgang tritt. Sie hat Benediktinermönche gesehen, die Fellmützen trugen, aber der junge Kuno wurde wegen seiner Strenge als Abt für Disibodenberg auserwählt. Seine Nase ist rot von der Kälte, und ein feines Netz violetter Adern läuft über seine Wangen. Uda wartet im Schatten zwischen den Säulen. Als sie vortritt, weicht er zurück. Doch er nimmt sich die Zeit anzuhören, was sie zu sagen hat.
    Uda ist erleichtert, als sie zu Hildegard zurückkehrt. Das Kind sitzt an der genau gleichen Stelle, an der sie saß, als Uda sie ein paar Stunden zuvor verlassen hat. Sie zeichnet mit ihrem Zeigefinger auf die Tischplatte, ein Krimskrams aus Strichen und Punkten. Sie sprechen nicht viel miteinander. Hildegard hilft ihr, die Streu zusammenzukehren und Holz auf das Feuer zu

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