Tochter des Lichts: Ein Hildegard von Bingen-Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
ein süßer und leicht pfeifender Ton, der Mechthild in gute Laune versetzt.
Niemandem gegenüber erwähnt Hildebert seinen nächtlichen Besuch im Kindbettzimmer, und Mechthild ist beunruhigt und fragt sich, ob er sein Versprechen gehalten und mit Vater Cedric gesprochen hat. Zuerst tut sie ihre Zweifel ab, geht mit sich selbst ins Gericht darüber, dass sie ihrem Mann nichtvertraut. Als die Frage sie weiter quält, entschließt sie sich, es Ursula anzuvertrauen, und zwar an dem Tag, an dem sie und Kristin den Heimweg zurück nach Sponheim antreten.
Mechthild hat das Bett verlassen, etwas bleich und kraftlos ist sie immer noch, aber wenigstens auf den Beinen und nicht mehr so aufgedunsen wie in den Tagen nach der Geburt. Jetzt, da Ursula und Kristin reisefertig auf dem Hofplatz stehen, wird der Abschied, den Mechthild herbeigesehnt hat, ein Abschied mit Wehmut.
Vierzig Tage lang ist sie frei von jeder Verantwortung gewesen, hat nur im Bett gelegen und an sich selbst und an Hildegard gedacht. Ursula hat sich um die gesamte Hauswirtschaft und die Verköstigung der Gäste gekümmert, die wegen des Kindes angereist waren. Jetzt wimmeln die anderen sieben um sie herum, ziehen an ihren Rockzipfeln und reden, dass ihr Kopf schwindelig und weich wie Erde wird.
Mechthild stützt sich auf ihre älteste Tochter Clementia, die den Arm ihrer Mutter mit festem Griff hält und sie in winzigen Schritten über die unebenen Steine führt. Clementia ist froh darüber, dass Ursula abreist, denn in den letzten vierzig Tagen mussten sie alle härter arbeiten, als Mechthild es jemals zugelassen hätte. Während die Töchter des Hauses im Nutzgarten auf den Knien gelegen und zwischen den Pflanzen gejätet haben, behielten sich Ursula und Kristin die leichteren Arbeiten vor.
Ursula tut so, als bemerke sie nicht, dass Mechthild auf dem Weg quer über den Hofplatz ist. Es ärgert sie, dass Mechthild so ein Aufheben um alles macht und angehumpelt kommt, als sei sie krank. Also inspiziert Ursula ihre Reisekisten und -säcke und kehrt Mechthild den Rücken zu, während Kristin, die sich darauf freut, ihren Mann wiederzusehen, freundlicher gestimmt ist und sich von ihrer Tante umarmen und küssen lässt. Wie siesich ihrer Cousine Clementia gegenüber verhalten soll, weiß Kristin nicht. Sie ist erst zehn Jahre alt und so still, dass man glauben könnte, sie sei dumm, wenn sie nicht schon beinahe lesen könnte. Auf Hildeberts Hof lernen auch die Mädchen Latein, so hat er es bestimmt, auch wenn Mechthild meint, das sei närrischer Unsinn. Ursula gibt ihr recht; die Mädchen brauchen diese Art von Gelehrsamkeit nicht, aber Hildebert besteht darauf. Wenn Vater Cedric sowieso jede Woche drei Vormittage mit den Jungen in der kleinen Stube sitzt, können die Mädchen ebenso gut dabei sein. Vorläufig sind nur Clementia, Benedikta, Roricus und Drutwin alt genug. Roricus ist zwölf, und er und Clementia sind die gelehrigsten. Odilia und Irmengard hängen ständig an der Schürze ihres Kindermädchens Estrid. Hugo, erst drei und der Sonnenschein der Familie, ist hässlich und immer schmutzig, aber er bringt alle zum Lachen. Und er ist es auch, den die Erwachsenen schließlich auf den Schoß nehmen. Es ist nicht anders als mit Tieren, denkt Ursula. Hässliche Fohlen können prächtige Hengste werden, tumbe Jungen können hübsche Männer werden. Deshalb irritiert es sie doppelt, dass Mechthild ihrem jüngsten Sohn nicht viel Aufmerksamkeit schenkt. Bei dem Gedanken fühlt Ursula Zorn in sich aufsteigen, geht das Gepäck noch einmal durch, um die Zeit in die Länge zu ziehen, während sie mit stiller Freude hört, wie Mechthild stöhnt, lauter und lauter, sich räuspert, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Kristin rennt, obwohl sie eine Frau und noch dazu schwanger ist, kreuz und quer über den Hofplatz hinter den drei Kleinen her, wie ein Troll, der versucht, sie einzufangen.
»Ursula«, sagt Mechthild schließlich, und damit ist sie gezwungen, sich umzudrehen. Mechthild stinkt nach Schweiß und saurer Milch.
»Mechthild«, erwidert Ursula gnädig und hält ihr beide Hände hin. Mechthild ergreift die eine, lässt sie aber sofort wieder los, um sich an Clementia zu klammern, die unter dem Gewicht ihrer Mutter schwankt.
»Ein großer Dank, euch beiden«, beginnt sie.
Ursula verscheucht eine Fliege vor ihrem Gesicht. Beide Frauen wissen, dass es für Ursula und Kristin undenkbar gewesen wäre, nicht zu kommen, um sich um Hauswirtschaft und
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