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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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hätte. Solches hätte sie freilich getötet - der Schmerz hingegen ebbte langsam ab. Verkrampft blieb sie liegen und spürte kalten Schweiß über ihr Gesicht laufen.
    Thure hatte sich wieder abgewandt, trachtete erneut, die Männer für sich einzunehmen, und diesmal lauschte sie seinen Worten nicht. Irgendwann war er sich ihrer Treue offenbar sicher, denn nun kam er wieder gemächlich näher.
    Die Dämmerung hatte sich über das Land gesenkt, doch noch glitzerte die Wasseroberfläche im letzten Licht, noch klammerte sich die Sonne an die Welt, obwohl sie schon begann, vom Himmel ins Meer zu sinken.
    Runa wappnete sich gegen einen neuerlichen Fußtritt, doch Thure schien entschlossen, ihr nur mit Worten zuzusetzen.
    Einschmeichelnd wie er eben noch zu den Männern gesprochen hatte, rühmte er sich der Tat, Taurin überlistet zu haben.
    »Beinahe war es zu leicht«, schloss er.
    Das Ledersäckchen hüpfte auf seiner Brust. Runas Hand tastete wieder nach ihrem Amulett.
    »Hat es je einen Menschen gegeben, den du nicht verraten hast?«, presste sie hervor.
    »Verrat ist ein so hässliches Wort«, gab er zurück. Seine Kleidung, zerrissen und dreckig, flatterte im Wind.
    »Ist es dir lieber, ich heiße dich Mörder statt Verräter? Ob du es hören willst oder nicht - du bist beides.«
    »In jedem Fall bin ich listig.« Er begann auf und ab zu gehen, wie es ihm eigen war, wenn er sprach. Ruhig stehen und reden war offenbar nichts, was er gleichzeitig tun konnte. Auf jeden Satz folgte ein Krümmen, Ducken und Wippen. »List ist alles auf dieser Welt«, fuhr er fort. »Gewalt allein führt selten zum Ziel, doch mit List kann der Schwächste den Stärksten besiegen. Und dass dergleichen glückt, dass manchmal der Schwache der Starke ist, ist wiederum ein Zeichen dafür, dass es auf dieser Welt nur Chaos gibt, keine Gerechtigkeit.«
    Sie wollte nicht hören, was er zu sagen hatte. Doch ihre Hände waren gefesselt, und so konnte sie sich ihre Ohren nicht zuhalten.
    »Was willst du noch?«, keuchte sie.
    Er schloss kurz die Augen, und als er sie wieder öffnete, trat er auf Gisla zu. Das Schilfgras stand hoch, doch nicht hoch genug, um sich vor ihm zu schützen. Gisla konnte nichts tun, als aufzuschreien, als seine schwieligen Hände ihr blondes Haar befühlten.
    »Die schönste Göttin war Sif«, erklärte Thure lächelnd, »die Gattin Thors. Sie hatte goldenes Haar, und dieses Haar war ihr größter Stolz. Loki jedoch gelang es, es heimlich abzuschneiden. Weil er Thor, den Gott des Donners, hasste, oder weil es ihn belustigte, Sif um das Haar weinen zu sehen.«
    Runa nahm mit tiefer Befriedigung wahr, dass es Gisla gelang, einen weiteren Klagelaut zu unterdrücken, was Thures Lust, sie zu ängstigen, sicher schmälerte.
    »Thor hat Loki gedroht, ihm jeden Knochen im Körper zu brechen«, zischte Runa, »wenn er nicht die Zwerge dazu brächte, neues Goldhaar für Sif herzustellen.«
    Seine Augen gingen zu ihr, nicht länger flackernd, sondern gleichmütig. »Ich fürchte, für euch setzt Thor sich nicht ein. Niemand tut das.«
    »Dann töte uns doch! Bring es hinter dich!«
    »Aber warum sollte ich, wenn wir es doch gerade so nett haben?«, lachte er. Dann verstummte das Lachen, er kaute auf den Lippen, als falle es ihm schwer zu entscheiden, womit er fortfahren sollte. Als er es wusste, leuchteten seine Augen. »Lasst mich noch eine Geschichte erzählen!«, rief er vergnügt. »Die Geschichte von der Reise, die Loki und Thor einst miteinander machten. Oft waren sie verfeindet, zu dieser Zeit jedoch nicht, und wenn ich es recht bedenke, waren nicht nur Loki und Thor auf Reisen, sondern auch Odin war es. Drei mächtige Götter also, und starke obendrein. Damit sie stark bleiben konnten, brauchten sie etwas zu essen, und weil sie auch faul waren, wollten sie das Essen nicht selbst erjagen. Sie schlossen also einen Handel mit einem Adler, der für sie ein Tier erlegen und hernach Anteil an der Beute bekommen sollte.« Thure hob beide Arme und bewegte sie, als wollte er andeuten, wie majestätisch der Adler durch die Lüfte schoss. Alsbald ließ er sie wieder sinken. »Doch denkt euch, der vermeintliche Adler war in Wahrheit ein Riese, und als Loki ihm die Beute, die er erlegte, gewaltsam rauben wollte, zeigte er sein wahres Gesicht und nahm ihn gefangen. Mit seiner List jedoch hat Loki so viel erreicht ...«
    Eben hatte ihr der Magen wehgetan, nun krochen Runa die Schmerzen in die Schläfen. »Halt endlich dein Maul, Thure«,

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