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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sie blickte.
    Ja, sie kämpfte immer noch oder vielmehr schon wieder - kämpfte, obwohl es sinnlos war, obwohl sie zu schwach und die Männer zu zahlreich waren und obwohl sie weiterhin glaubte, in dieser Nacht sterben zu müssen. Als die Männer sie zum ersten Mal gepackt hatten, konnte sie sich ihnen entwinden. Beim zweiten Mal unterlag sie ihnen - doch sie ließen sie am Leben - noch. Jemand entriss ihr das Messer, warf sie sich über die Schultern und trug sie davon. Sie hob den Kopf und sah, dass Gisla gleiches Los ereilt hatte. Während Runa mit Händen und Füßen um sich schlug, war Gisla wie ohnmächtig - doch obwohl sie sich nicht wehrte, fesselte man auch ihr die Hände, ehe man sie über einen Pferderücken warf.
    Runa blieb die Luft weg. Ihr Respekt vor diesen Tieren war unvermindert groß, und es war noch schrecklicher zu reiten, wenn die Hände gebunden waren, man nicht aufrecht sitzen konnte und die Tiere, das Feuer scheuend, rasend schnell durch den Wald stoben. Sie glaubte ob des Drucks auf ihrer Brust zu ersticken, der vom Feuer, vom Ritt oder von der kalten Nachtluft rührte, aber irgendwie atmete sie doch weiter, verlor das Bewusstsein nicht, nahm vielmehr wahr, wie das Prasseln des Feuers verstummte und stattdessen das Rauschen des Meeres erklang.
    In den letzten Tagen hatte Runa gehofft, die Küste zu erreichen und sich am vertrauten Anblick der blauen Fluten laben zu können. Nun war sie ihr so nah, aber sie hörte das Meer nur, sah es nicht.
    Ich werde es nie wiedersehen, dachte sie, ich werde sterben.
    Der Himmel graute, sie wurde vom Pferd gezogen, erhaschte doch noch einen Blick auf das Meer, nicht blau dieses Mal, sondern schwarz. Dann erhielt sie einen Stoß, der sie auf den Boden gehen ließ, spürte, wie Gisla dicht neben ihr zu liegen kam.
    Sie würde sterben - wenn auch nicht in der Nacht. Sie glaubte nicht mehr, dass es schnell und schmerzlos geschehen würde.
    Der Morgen verging, ohne dass Thure sie auch nur ansah. Der graue Himmel ließ keinen Sonnenstrahl hindurch, lediglich das Meer wandelte sich in dunkles Grün. Sie hockten im Schilfgras, am Rand des Strandes.
    »Was wird er mit uns tun?«, brachte Gisla schluchzend hervor.
    Runa war sich nicht sicher. Dass er sie bis jetzt ignoriert hatte, deutete sie erst als Zeichen, dass er sie quälen wollte. Später erkannte sie, dass nicht Bösartigkeit ihn dazu trieb, sondern Berechnung. Noch konnte er sich nicht dem Genuss hingeben, sich mit seinen Gefangenen abzugeben, noch galt es, die Männer weiter auf sich einzuschwören. Dass sie Taurin die Treue gebrochen hatten, war Beweis genug, dass sie jenen verachteten, aber nicht, dass sie nunmehr Thure mochten.
    Um dies zu erreichen, nahm er sich Zeit. Der Vormittag verging und der Mittag; die Sonne erschien am Himmel, aber so milchig weiß wie der Mond und so kalt wie dieser. Die Wellen, die auf Strand und Felsen schlugen, wuchsen höher, und ihr Rauschen übertönte immer wieder Thures Stimme. Er war einer, der laut lachte, aber leise sprach - Runa hatte ihn nur einmal laut schreien gehört, damals, als er ihren Vater getötet und sie hinterher des Mordes angeklagt hatte.
    Er erklärte, wer Gisla war und dass sie sie zu Rollo bringen sollten: Taurin hätte als Lohn seine Freiheit bekommen. Sie indes könnten, wenn sie es recht anstellten, weit mehr aus diesem Handel ziehen, nicht nur Freiheit nämlich, sondern auch Land. Waren sie, was das betraf, nicht bislang leer ausgegangen?
    Bis jetzt hatte Runa den Kopf beharrlich gesenkt gehalten. Nun hob sie ihn.
    »Du versprichst Land, Thure?«, fragte sie laut. »Hast du nicht gesagt, dass Männer nicht zum Pflügen gemacht sind, sondern zum Kämpfen?«
    Er trat auf sie zu, und erst jetzt erkannte sie, dass sein Gesicht von weiteren Wunden entstellt war, klaffend, schwarz und kaum verheilt. Sie zuckte zusammen. Zwar hatte sie zu oft getötet, um nicht zu wissen, dass der Mensch vergänglich war und hinter jedem noch so schönen Antlitz Fleisch verborgen lag, das verwesen konnte - aber keiner erinnerte so deutlich daran wie Thure. Sie senkte den Blick, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen, und umklammerte das Amulett, das sie um ihren Hals trug. Dennoch entging ihr nicht, dass er lächelte. Er tat es eine Weile reglos, dann trat er ihr in den Bauch.
    Runa glaubte, ihre Eingeweide müssten zerplatzen. Der Schmerz war so stark, so absolut, dass es sich nicht schlimmer hätte anfühlen können, wenn er ein Schwert in ihren Leib gerammt

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