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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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rief sie und konnte nicht recht entscheiden, was schlimmer war: von ihm geschlagen zu werden oder seine Geschichten zu hören.
    »Jetzt wird es doch erst interessant!«, rief Thure begeistert. »Der Riese war bereit, Loki wieder freizulassen - jedoch zu dem Preis, dass dieser ihm Idun brachte. Idun wiederum war eine Tochter Odins, auf die der Adler, oder nein, der Riese, der die Gestalt des Adlers annahm, schon lange ein Auge geworfen hatte. Idun war ein hübsches junges Mädchen, hockte stets unter einem Apfelbaum und hütete die Früchte der ewigen Jugend. Doch so hübsch wie sie war - klug war sie nicht. Loki musste sich nicht sonderlich anstrengen, um sie mit List und Lüge aus der Götterwelt zu locken, hinter deren Mauern bereits der Adler ... der Riese in Gestalt des Adlers ... wartete, um sie mit sich zu nehmen.«
    »Halt's Maul!«, schrie Runa.
    »Aber warum denn? Die Geschichte passt zu unser aller Geschick! Der Adler ist wie Rollo ein Mann, der mir, wenn er es darauf anlegt, das Leben denkbar schwer machen kann. Um selbst Macht zu erlangen, muss ich Rollo wohl die schöne Idun ... äh ... Gisla bringen.« Er machte eine kurze Pause. »Was wiederum bedeutet, dass ich die Prinzessin brauchen kann, dich aber nicht.«
    Thure trat zu Runa, hockte sich neben sie und hielt erstmals seit langem still. Runa schaffte es kaum, ihm nicht zu zeigen, wie sehr sie den Anblick seiner Wunden scheute.
    »Aber wenn du mich tötest, dann entgeht dir die Freude, mich weiter zu quälen«, stieß sie aus.
    Er nickte bedächtig. »Das wäre in der Tat bedauerlich. Was also soll ich tun? Das, was vernünftig ist? Oder das, was Spaß macht? Warum andererseits soll ich diese schwierige Entscheidung überhaupt treffen? Auf dieser Welt gibt es keine Gerechtigkeit, nur das Chaos. Und das einzige Gesetz, dem das Chaos folgt, ist das des Zufalls. Dem Zufall wollen wir es also überlassen, was ich mit dir tun soll.«
    Während er sprach, öffnete er den Lederbeutel, der um seinen Hals baumelte. Runa erwartete, dass er einige jener dunklen Körner herausholen würde, die den Geist benebelten und die Welt bunter machten, aber stattdessen sah sie eine Münze zwischen seinen Fingern glitzern. Es war ein ungewohnter Anblick, denn dort, woher sie stammte, handelten die Menschen mit Waren, nicht mit Geld. Ein einziges Mal nur hatte ihr Vater ihr eine Münze gezeigt und erklärt, sie sei aus Silber gemacht. Auf der einen Seite war das Gesicht von Odin abgebildet gewesen und auf der anderen ein Monster.
    »Ja«, wiederholte Thure, »der Zufall soll entscheiden.« Er warf die Münze und grinste. »Was immer ich tue, wird sich danach richten, auf welche Seite sie fällt. Odin verheißt das Leben, das Monster den Tod.«
    Runa unterdrückte ein Schaudern, als die Münze über den Boden rollte und schließlich ein Stück entfernt liegen blieb. Thure starrte prüfend in ihr Gesicht. Sie erwiderte den Blick ausdruckslos und beschwor im Inneren die Erinnerung an Asrun herauf. Ach, Großmutter, seufzte sie im Stillen, Großmutter ...
    Nun endlich hob Thure die Münze auf. Er zeigte ihr nicht, auf welche Seite sie gefallen war, tätschelte nur ihre Wangen, als wäre sie ein Kind, das man trösten müsste. Nichts war ihr je so widerwärtig gewesen wie diese Berührung. Sie öffnete den Mund und spuckte ihm ins entstellte Gesicht.
    Seine Hand zuckte zurück. »Das ist nicht schön!«, rief er vermeintlich gekränkt.
    Dann hob er die Hand bedrohlich nah an ihr Gesicht heran, und in der Hand hielt er ein Messer.

K LOSTER S AINT -A MBROSE IN DER N ORMANDIE H ERBST 936
    Ein Teil der Schwestern blieb in der Kirche, um dort zu beten. Ein Teil ließ sich vom vermeintlichen Frieden im Angesicht des Allerheiligsten nicht beschwichtigen und kehrte zurück ins Refektorium, um sich zur Äbtissin und zu Arvid zu gesellen.
    Angeführt wurden sie von der Subpriorin und der Schwester Cellerarin, die einmal mehr fragen wollte, wer dort draußen sei und warum. Auch Mathilda, das sah die Äbtissin ihr an, hätte am liebsten viele Fragen gestellt - weniger nach den gesichtslosen Feinden als vielmehr, was es bedeute, dass weder Arvid wisse, wer er sei, noch die Äbtissin selbst. Sie sprach sie jedoch nicht aus - aus Scheu vor ihr und Arvid, und aus Angst vor jenen, die dort draußen vor dem Tor zwar nicht mehr ganz so heftig, aber doch weiter tobten.
    Mathilda zuckte zusammen, als das Holz laut knackte, die Äbtissin nicht. Trotz allem hatten jene Angreifer auch etwas Gutes

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