Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
nicht länger nackt: Nachdem Thure sich von ihrem Leib gewälzt hatte, hatte er sie wieder mit ihren Kleidern zugedeckt. Aber wenn sie auch nicht länger nackt war, so blutete sie doch. Jetzt hörte sie wie aus weiter Ferne seine Stimme, weich, fast zärtlich.
»Die Welt«, sagte er, »die Welt wurde nur geboren, um zu sterben.«
Taurin heulte auf vor Schmerz, in seinen Augen funkelte purer Hass. Er ließ das Schwert nicht los, wie Runa erhofft hatte, aber hielt den Knauf nicht mehr so fest in der Hand. Sie zog das Messer aus seinem Bein, rammte es erneut in sein Fleisch. Diesmal fiel das Schwert zu Boden, und nach dem Schwert fiel er. Der Takt ihres Herzens beschwichtigte sich, ihr Atem ging ruhiger. Eben noch hatte sie geglaubt, sie würde auf einer schmalen Klippe mit ihm kämpfen, nun gewahrte sie, dass sie vor dem Haus stand, in dem es warm war, in dem es zu essen gab, in dem sie überwintert hatte. Und in dem sie weiterleben würde.
Eines muss man Fredegard lassen, dachte Hagano, sie weint nicht. Und ihre Stimme ist fest.
Früher hatte sie oft geweint, und ihre Stimme, schrill und unangenehm in seinen Ohren, hatte immer gebebt.
Ob die Zeit im Kloster ihr diese Stärke verliehen hatte? Oder die heutige Rückkehr ins vertraute Laon, die für alle unerwartet gekommen war? Vielleicht auch der nicht länger verhohlene Hass auf ihn.
»Ich weiß alles, Hagano«, erklärte Fredegard mit dieser fremden, harten Stimme. »Ich weiß, dass du von meinem Betrug erfahren hast, dass Gisla - nunmehr als Aegidia - aus Rouen geflohen ist und dass du sie, als sie nach Laon zurückkam, töten wolltest.«
Hagano machte sich nicht die Mühe, es abzustreiten. Er war allein mit Fredegard. Der König war - noch immer oder schon wieder - in Lothringen. »Verfluchte Begga ...«, knurrte er nur.
»Verfluchter Hagano!«, gab Fredegard zurück. »Du hast Begga dazu bringen können, Gisla zu verraten. Aber ich kenne sie seit Ewigkeiten. Sie würde nicht auch mich verraten! Sie brach zusammen, kaum stand ich ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und sie hat mir alles gesagt. Und was sie nicht wusste, habe ich aus Aegidias Brief erfahren, den sie mir in ihren letzten Tagen schrieb.«
»Aegidia, die alle Welt für Gisla hält«, murmelte Hagano, »und deren frühen Tod man allerorts betrauert hat ... Ob die Tränen von Herzen kamen, bezweifle ich allerdings. Manch einer wird sich gedacht haben, dass ein Sarkophag aus Stein ein besserer Ort für ein fränkisches Mädchen ist als Rollos Brautbett.«
Sie überhörte den höhnischen Klang. »Wo ist Gisla jetzt?«, fragte sie eisig.
»Wäre sie nicht tot, wenn ich es wüsste?«
»Du hast ihr gewiss einen Meuchelmörder nachgeschickt, nachdem sie mit dieser nordischen Frau aus Laon geflohen ist!«
Nun zitterte ihre Stimme doch, bekam die vermeintlich ausdruckslose Miene Sprünge. Der Hass auf ihn, wohl auch auf den König, gab ihr Kraft - der Gedanke an ihr Kind, schutzlos und einsam, raubte sie ihr wieder.
»So ist es«, gab er erneut unumwunden zu.
Etwas länger zögerte er, als es zu bekennen galt, dass er von Adarik seit Monaten keine Botschaft bekommen hatte. Weder konnte er sich sicher sein, dass dieser noch lebte, noch dass Gisla tot war. Womöglich war Adarik so dumm gewesen, sich mit den Normännern anzulegen.
»Was weißt du noch?« Fredegard schrie nun. Ihr Speichel traf sein Gesicht.
»Nichts. Nur dass der Winter lang war und deine Tochter nie besonders zäh ...«
»Du musst etwas tun, Hagano! Sonst wird der König alles erfahren, das schwöre ich!«
Hagano wischte sich ihren Speichel vom Kinn. Er dachte nach, lächelte Fredegard schließlich vermeintlich freundlich an. Sie verzog ihr Gesicht, als schmerzte dieses Lächeln wie der Schlag einer Peitsche.
»Warum so feindselig, gute Fredegard?«, fragte er. »Mag sein, dass wir in der Vergangenheit auf zwei verschiedenen Seiten standen. Doch wenn ich's mir recht überlege, wünsche auch ich mir mittlerweile nichts sehnlicher, als dass Gisla doch noch lebt. Ich meine ... nun, da Rollos Braut verschieden ist, braucht er doch eine neue, nicht wahr? Und wer würde jemals ernsthaft bezweifeln, dass du dem König eine zweite Tochter geboren hast?«
Fredegard wandte sich voller Grauen ab. Ihre Schultern zitterten. »Wag es nicht!«, zischte sie. »Wag es nicht, auch nur daran zu denken!«
Er umrundete sie, immer noch lächelnd. »Aber deine Erlaubnis, eine ... nein, zwei Truppen ins Nordmännerland zu schicken, auf dass
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