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Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Feuer und zischenden Dampf aus Augen und Nüstern spie.
    Runa atmete aus und zog ihr Messer. Keinem Menschen kommt man so nahe wie dem, den man töten will. Obwohl sie am Platz vor dem Brunnen standen und dieser breit genug für sie beide war, vermeinte sie, auf einer Klippe zu stehen, auf der nur einer Platz fand. Ihre erste Regung war, das Messer zu werfen, aber sie folgte ihr nicht. Das Messer war ihre einzige Waffe, sie durfte sie nicht verlieren. Und darüber hinaus war sie kleiner als das Schwert, somit war es unmöglich, Taurin damit nahe zu kommen, ohne dass seine Klinge sie traf. Doch sie besaß noch eine weitere Waffe: ihre Sinne, ihre Wendigkeit.
    Als er auf sie losging, schien ihr Körper nicht länger aus harten Knochen zu bestehen. Sie wartete, bis er ganz dicht an sie herankam, erst als er das Schwert hob, wich sie ihm aus.
    Gislas Körper schien ganz und gar vom Gift durchdrungen. Da war nichts, was sie Thure entgegenhalten konnte, nichts, um sich vor ihm zu schützen. Er riss ihr die Kleider vom Leib. Oder war es ihre Haut?
    »Dumme, kleine Idun ...«, murmelte er, während er auf sie herabblickte. »Dumme, kleine fränkische Prinzessin ...«
    Wieder hörte sie seine Worte nicht nur, sondern fühlte sie auch. Als er die bösen Geister beschwor, die aus dem Reich der Toten stiegen, glaubte sie, jeden ihrer Schritte zu spüren. Als er von Heimdal sprach, Odins Sohn, der die Glocke läutete, um die Götter zu warnen, glaubte sie, dass der Klang dieser Glocke ihren Kopf zerriss. Sie wollte die Hände heben, sie auf ihre Ohren pressen - es gelang ihr nicht. Auch Heimdal gelang es nicht, die Götter rechtzeitig zu warnen. Die Ragnarök ließ sich nicht aufhalten. Es war zu spät zu schreien, zu spät zu klagen, zu spät, sich zu wehren. Wie glatt Thures Körper war, so viel glatter als sein Gesicht. Und wie schwer er war, so viel schwerer als ihrer.
    Immer wieder schlug Runa ihn mit ihrer Wendigkeit. Immer wieder konnte sie ihm ausweichen. Nur einmal nicht. Das Schwert spaltete zwar nicht ihren Kopf und stieß auch nicht in ihre Brust, aber traf ihre Hand. Der Schmerz war wie ein greller Lichtblitz. Rasch kam sie wieder zu sich, bedachte ganz nüchtern, dass sie sein ungeheures Tempo nicht unterschätzen durfte und dass sein Hass ihm viel Kraft gab. Als er erneut zum Sprung ansetzte, bedachte sie noch etwas: Nun, da sie an der Hand getroffen war, da sie blutete, wähnte er sie geschwächt. Er glaubte sich dem Sieg nah - und genau das konnte ihre Rettung sein. Sie stand nicht länger starr, sondern krümmte sich, als würde sie vom Schmerz in die Knie gezwungen werden und hätte mit dem Blut sämtliche Lebenskraft verloren.
    Gislas Körper wurde taub. Da war kein Herzschlag mehr zu fühlen, kein Blut, das in ihr rann oder aus ihr heraus, da war keine Kraft mehr. Auch Thure schien nicht mehr über sonderlich viel davon zu verfügen, warum sonst würde er keuchen, als arbeite er schwer?
    »Es gibt keinen Frieden. Es gibt keine Versöhnung«, rief er. »Wie konntest du glauben, dass ich ein anderer bin? Wie konntest du glauben, dass man mich mit Güte besiegen kann? Ich bin ein Krieger, und Krieger töten.«
    Sein Körper schien den ihren zu erdrücken. Vielleicht würde sie unter seinem Gewicht ganz leicht und später vom Wind mitgerissen werden, leicht wie ein ausgetrocknetes Blatt, das vom Baum fällt. Der Wind stöhnte in ihren Ohren, Thure auch.
    »Sechshundert Tore hatte Walhall, und alle Tore öffneten sich, um die Krieger freizulassen. Auf dem Schlachtfeld Vigrid kämpften und töteten sie. Heimdal und Loki kämpften gegeneinander, die Schlange Midgard und Thor, der Wolf Fenrir und Odin. Ihr Sieg war zugleich ihre Niederlage, ihre Leiber wurden von den Flammen zerstört, der faule Weltenbaum Yggdrasil wurde entwurzelt, am Ende war keiner mehr am Leben.«
    Ich will leben, dachte Runa, ich will leben.
    Taurin hatte sein Schwert gehoben, hielt es über ihren Kopf. Gleich würde es niedersausen, gleich würde es ihren Kopf spalten, wenn sie nicht auswich. Und plötzlich dachte sie, dass es dieser Augenblick war, für den sie gelebt hatte. Wie hatte sie jemals denken können, zu leben bedeutete, ein Schiff zu bauen, Wild zu erlegen oder eine Frankenprinzessin zu retten? Nein, dies war Leben: töten oder getötet zu werden.
    Sie duckte sich, gab sich geschlagen. Als sie schon den kalten Hauch der Klinge spüren konnte, rollte sie sich zur Seite, hob die Hand und stieß ihr Messer in Taurins Bein.
    Gisla war

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