Tochter des Nordens: Historischer Roman (German Edition)
Tage unterwegs sein. Sieh zu, dass du genügend isst«, murmelte der Vater stattdessen.
Erst jetzt erkannte sie die hölzerne Schüssel mit Essen in seinen Händen. Sie musste würgen, noch ehe sie es roch - Hafermus und ein Stück Brot, das aus Gerste, Kleie und Asche gebacken worden war. Als sich Widerwille in ihrem Gesicht ausbreitete, hob Runolfr eine zweite Schüssel - diese mit geräuchertem Fleisch, einigen Scheiben Speck und einem Stück gesalzenen Aal gefüllt.
Ihre Augen tränten vor Übelkeit.
»Bald machen wir Halt in Vik«, erklärte der Vater und ließ die Schüsseln sinken, ohne dass sie sich etwas genommen hatte.
Runa seufzte erleichtert. Vik war ein Hafen, und wenn sie dort hielten, bedeutete es, dass sie wieder Land betreten konnte. Doch die Erleichterung währte nicht lange. Ja, sie konnte es betreten, aber dieses Land war nicht ihre Heimat, und sie würden nicht dort bleiben können. Der Vater wollte immer weiter in den Süden, in das reiche, saftige, fruchtbare Nordmännerland, wo früher nur Franken gelebt hatten, jetzt jedoch auch ihresgleichen.
Sie hasste dieses Land.
»Solange wir in der Nähe der Küste segeln«, fuhr Runolfr fort, »verbringen wir die Nächte an Land. Wenn der Boden flach genug ist, um Zelte aufzustellen, schläfst du dort, ansonsten hier.«
Runa sagte weiterhin nichts. Um ihren Vater nicht ansehen zu müssen, blickte sie sich um und erkundete den Raum eingehender. Bis jetzt wusste sie, dass er klein, stickig und ihr Gefängnis war - nun erkannte sie, dass die Wände an manchen Stellen mit Fellen bedeckt waren und der Boden mit Teppichen ausgelegt. In der einen Ecke standen Kisten und Fässer, in der anderen messingbeschlagene Bottiche. Runolfr schien ihren suchenden Blick als Frage aufzufassen.
»Dies ist der einzige überdachte Ort auf dem Schiff - gleich hinter dem Mast. Hier bist du vor Wind und Regen geschützt.« Er klopfte gegen das Dach, als wollte er beweisen, dass es stabil war und den Gezeiten trotzen konnte. »Aus halben Baumstämmen gebaut«, fügte er hinzu.
»Das andere Mädchen ...«, setzte Runa an.
Noch während sie die Worte sagte, bereute sie sie. Eigentlich hatte sie ihrem Vater gegenüber schweigen wollen - wo sie doch kein anderes Mittel als dieses hatte, um ihn zu strafen.
»Sie heißt Ingunn, und sie wird dir alles geben, was du brauchst.«
War sie Sklavin, die Frau eines seiner Männer, vielleicht gar seine eigene?
Im Grunde zählte es nicht, zählte nur, was sie selbst war: eine aus der Heimat Verschleppte. Der Schweiß brach ihr aus, und Runa presste ihr Gesicht gegen einen Holzspalt, um nach frischer Luft zu schnappen. Der Himmel war nicht länger grau, sondern rot und grün. Nein, berichtigte sie die müßigen Gedanken. Nicht der Himmel war rot und grün, sondern die Segel des Schiffes, die im Wind flatterten, waren es. Die Ruder klatschten gleichmäßig aufs Wasser.
Eine Weile hörte sie nur das, den eigenen Atem und das Seufzen des Vaters. Dann näherten sich Schritte, energischer als die des Mädchens Ingunn. Der Vater fuhr herum, und auch sie musterte den Mann, der sich wie alle anderen bücken musste, um die niedrige Kammer zu betreten - der Mann, der ihre Kuh geschlachtet hatte. Deren verzweifeltes Röhren hallte noch in Runas Ohren nach - viel eindringlicher als der letzte Schrei ihrer Großmutter.
Im fahlen Licht wirkten seine Narben nicht so beängstigend und seine Kleider nicht bunt, sondern grau, aber sein Grinsen war unheimlich, und seine Augen funkelten silbrig und kalt. Vielleicht war Silber gar nicht ihre Farbe, vielleicht reflektierten sie nur, was sie sahen. Und wenn er mich ansieht, dachte Runa, werden seine Augen schwarz. Schwarz wie ihr Haar und schwarz wie die Trauer um die verlorene Heimat. Er musste noch etwas anderes an ihr sehen.
»Du hast eine schöne Tochter«, stellte der Mann fest.
Sein Blick erforschte ihre Gestalt, lästig und aufdringlich wie Ungeziefer.
»Halt's Maul, Thure«, fuhr der Vater ihn an. »Wag nicht, sie anzustarren!«
Runa war dem Vater dankbar - und wieder nicht. Nichts, was er tat oder sagte, konnte wiedergutmachen, dass er die Großmutter getötet hatte. Herausfordernd blickte sie auf diesen Thure, bekundend, dass sie des Vaters Fürsprache nicht brauchte und dass sie jede Anzüglichkeit ertragen konnte - nur seine Nähe nicht.
Doch da hatte sich Thure bereits dem Befehl gebeugt, den Kopf gesenkt und war aus der Kammer gekrochen, und Runolfr folgte ihm ohne ein weiteres
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