Tochter des Ratsherrn
der großzügigen Brautgabe aufwiegt, erscheint mir das gerecht.«
»Bis Ende September bloß?«, stammelte Walther fassungslos, während der Bürgermeister ihm Gänsekiel und Pergament abnahm.
Hereward von Rokesberghe lachte auf. » Bloß? Das sind noch über vier Monate. Ihr könnt natürlich auch gleich aus Eurem Haus ausziehen, wenn Ihr jetzt schon wisst, dass Ihr nicht in der Lage sein werdet, die Forderung zu erfüllen.«
Reyner von Wunsdorp und Conrad Salsnak fielen in das Gelächter des Kaufmanns mit ein, nur der Bürgermeister hielt sich zurück.
»Meine Herren, wenn Ihr so gut sein wollt. Wir sollten diesen unangenehmen Moment nicht länger rauszögern als nötig.« Als er ihnen das Pergament entgegenhielt, unterschrieben die beiden Ratsherren flugs – damit war die Auflösung besiegelt, und es gab nichts mehr zu sagen.
Walther verließ das Rathaus als Erster. Völlig benommen schlich er durch die Straßen. Der Gedanke an das bevorstehende Gespräch mit Margareta, Runa und Ragnhild lastete so schwer auf ihm, als trüge er Felsbrocken auf den Schultern. Abgesehen von allen bündischen Vorteilen, welche diese Hochzeit mit sich gebracht hätte, wusste er von Runa, wie freudig Margareta der Ehe mit Hereward von Rokesberghe entgegensah. Ihre Trauer über die Auflösung wäre sicherlich gewaltig, und sie war durchaus berechtigt. Margareta zählte immerhin schon einundzwanzig Lenze; es würde nicht leicht sein, einen anderen Gemahl für sie zu finden. Nun blieb ihr nur noch das Leben im Kloster – sofern Walther jemals das Eintrittsgeld aufbringen konnte.
Doch noch ein weiteres Problem drückte ihn schier nieder: Walther hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er die großzügige Brautgabe zurückzahlen sollte. Was das bedeutete, mochte er sich kaum ausmalen: Zahlte er nicht, würde er in wenigen Monaten sein Haus an Hereward von Rokesberghe verlieren. Absurderweise hatte er zugleich dafür gesorgt, dass die Familie eventuell bald auch kein zweites Haus mehr besaß: Sollte Graf Gerhard II. auf Walthers Vorschlag eingehen und Albert im Tausch gegen dessen Haus aus dem Einlager freilassen, stünden sie alle auf der Straße.
Walther wurde heiß und kalt zugleich – er hatte den Auftrag bekommen, sich um die Familie seines Freundes zu kümmern, und nun sah es tatsächlich so aus, als würden die von Holdenstedes alles verlieren. Diese Erkenntnis war schmerzhaft, bedeutete sie doch nur eins: Walther hatte versagt!
Margareta fühlte sich schlecht. Eigentlich hätte sie sich im Haus nützlich machen oder wenigstens ihre Mutter und Schwester von deren Kummer ablenken sollen. Sie hätte auch zu Vater Everard gehen und mal wieder die Beichte ablegen oder Gebete für ihren armen Vater sprechen können. Doch stattdessen schlich sie sich, wie so oft in letzter Zeit, hinauf in Ragnhilds und Alberts Schlafkammer, um heimlich ihr künftiges Brautkleid aus der Truhe ihrer Mutter zu holen.
Sie wusste, dass ihr Verhalten in Anbetracht der Situation unangemessen war, und hoffte, dass niemand sie dabei entdeckte. Doch je mehr sich die Lage ihrer Familie verschlimmerte und je länger sie alle ans Haus gefesselt waren, desto häufiger zog es Margareta zu dem leuchtend grünen Seidenstoff. Hier konnte sie sich in Gedanken flüchten – in wohlige Gedanken – und wenigstens für kurze Zeit alle Unbill und Sorge vergessen.
Das schimmernde Grün des Kleides hatte auf sie eine fast heilende Wirkung. Sie konnte sich gar nicht sattsehen daran. Die Farbe erinnerte sie an saftiges Gras auf einer duftenden Wiese, ja, sie erinnerte sie sogar an eine der Wiesen, über die sie als Kind mit ihrer geliebten Mutter Alheidis manchmal gelaufen war. Der Duft der Gräser war ihr noch immer gegenwärtig, und sie spürte gar das kitzelnde Gefühl der weichen Halme an ihren nackten Füßen. Allein der Gedanke daran brachte sie zum Lächeln und ließ sie fast vergessen, welche Schande über ihre Familie gekommen war.
In ihrer Vorstellung war der Tag ihrer Hochzeit gleichbedeutend mit dem Ende dieses Schreckens. Hereward war ein einflussreicher Mann. Er würde schon dafür sorgen, dass ihr Vater aus dem Einlager entlassen werden würde, womit das Ansehen ihrer Familie gewiss wieder wuchs. Sie mussten nur noch bis zum Tage des Marienfestes durchhalten, an dem ihre Eheschließung stattfinden sollte. Dann würde das Glück den von Holdenstedes sicher wieder hold sein.
Immer wieder presste Margareta das schwere Gewand, welches derzeit all ihr Glück
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