Tochter des Ratsherrn
abgelehnt hatte, würde es schwer sein, einen anderen Gemahl für sie zu finden. Sie war jetzt eine Verschmähte. So eine Braut wollte niemand. Alles, was ihr nun noch blieb, war ein Leben als Begine – allerdings nur, falls diese sie überhaupt aufnahmen.
2
Albert war mittlerweile zu schwach, um sich zu erheben. Auf dem nackten Boden zusammengekauert saß er auf dieser Stelle bereits sei drei Tagen. Selbst zur Verrichtung seiner Notdurft stand er nicht mehr auf.
Was für ein Narr er gewesen war! Heute konnte er sich nicht mehr erklären, warum er tatsächlich geglaubt hatte, dass dieser Ritter von edlem Wesen sei. Eccard Ribe war noch weit grausamer als Albert es zu Anfang angenommen hatte – war es doch eine Sache, einen Mann in einem Verlies verhungern zu lassen, und eine ganz andere, in diesem Mann zuvor die Hoffnung zu wecken, es nicht zu tun.
Heute wusste Albert, dass Eccards Worten nicht zu trauen war. Niemand war gekommen, weder am zweiten Tag noch an dem darauf und auch an keinem anderen. Er hatte mittlerweile aufgehört, die Tage zu zählen, doch seit seiner Einkerkerung mussten zehn oder mehr vergangen sein. Dass er überhaupt noch am Leben war, verdankte er bloß dem immerwährenden Regen, der unaufhörlich durch die kleine Luke seines Verlieses tropfte. Jeden Tag hatte er sich so lange mit offenem Mund daruntergelegt, bis sein Durst gestillt war. Nun hatte es schon seit drei Tagen nicht mehr geregnet, und seine Zunge war geschwollen, die Lippen aufgeplatzt. Wenn er nicht bald etwas zu trinken bekam, würde er sterben.
Der Schmerz in seinem vor Hunger knurrenden Bauch war irgendwann vergangen, ganz und gar nicht vergangen war dagegen der Schmerz, den er in seinem Herzen verspürte. Nie wieder würde er seine Lieben sehen können, nie wieder mit ihnen scherzen oder sie berühren. Albert hatte keine Tränen mehr. Geblieben waren lediglich seine Gedanken, in die er sich pausenlos flüchtete. Er sah die Gesichter seiner Töchter und Söhne und die seiner Enkel vor sich. Besonders deutlich aber sah er das Gesicht Ragnhilds. Wie sehr er sie doch liebte! Nie hatte es eine andere Frau für ihn gegeben. Selbst Alheidis, die ihm seine geliebte Tochter Margareta geschenkt hatte und ihm stets eine gute Ehefrau gewesen war, hatte er niemals so sehr zu lieben vermocht wie Ragnhild.
Vom ersten Tag an hatten Ragnhild und er um ihre Liebe kämpfen müssen, und nur wenige Jahre war es leicht für sie gewesen. Die Erinnerungen an vergangene Zeiten flammten in Albert auf, als wäre all das erst gestern gewesen. Angefangen hatte es ganz einfach: mit der Liebe eines jungen Mannes zu einer jungen Frau.
Für alle anderen war Ragnhild bloß die dänische Magd seiner Eltern gewesen, doch nicht so für ihn. Alberts Begehren ging so weit, dass er sogar seine Verlobung mit der Ratsherrntochter Ingrid von Horborg auflöste, was einen furchtbaren Streit mit ihrem und seinem Vater zur Folge gehabt hatte. Allein seiner liebevollen Mutter Mechthild war es schlussendlich zu verdanken gewesen, dass er und Ragnhild entgegen jeglicher Standes- und Moralvorstellung heiraten konnten.
Mechthild hatte Ragnhild stets geliebt wie eine Tochter. Albert musste lächeln, als das gütige Gesicht seiner Mutter vor ihm erschien. Doch der Gedanke an das, was danach kam, ließ seine Mundwinkel wieder sinken. Alberts Gesichtszüge verhärteten sich bei dieser Erinnerung an den Tod seiner Eltern.
Danach hatte eine schlimme Zeit für die Liebenden begonnen. Das Paar war Alberts machthungrigem Bruder schutzlos ausgesetzt gewesen. Jahrelang hatte Conrad nichts unversucht gelassen, um seinen jüngeren Bruder vom elterlichen Tuchhandel fernzuhalten und Albert zu demütigen. Aber so unglücklich ihn seine geschäftliche Aufgabe damals auch machte, so glücklich war er stets mit Ragnhild. Solange sie zusammen waren, konnte er jedes Leid ertragen. Eines Tages allerdings bewahrheiteten sich Alberts schlimmste Ängste: Er und Ragnhild wurden durch Conrads üble Machenschaften getrennt, und nachdem man Albert für tot erklärt hatte, heiratete seine geliebte Gemahlin einen anderen. Noch immer brachte dieser Gedanke sein Blut zum Kochen.
Albert war damals nichts anderes übrig geblieben, als sich ebenfalls ein neues Weib zu nehmen, doch Alheidis war ihm nur ein schwacher Trost gewesen. Der immerwährende Gedanke daran, dass es Ragnhild im Hause ihres neuen Gemahls Symon von Alevelde schlecht erging, zermürbte ihn. Erst das alles zerstörende Feuer sollte sie
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