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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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hatte, war das eine Lüge gewesen. Er konnte nicht mehr länger an sich halten und stand auf. Wortlos verließ er die Stube.
    Godeke blickte fragend in die Runde. »Was ist denn in Walther gefahren?«
    Er bekam keine Antwort.
    Ragnhild wollte etwas sagen, das den Verdacht von Runa ablenkte, doch ihr fiel nichts ein. Stattdessen zuckte sie, an Godeke gewandt, betont gleichgültig mit den Schultern. Dabei fiel ihr Blick auf das Gesicht des Priesters. Sie erschrak. Das Antlitz des Kirchenmannes hatte sich zu einer boshaft grinsenden Fratze verzogen. Niemand sonst achtete darauf, doch sie wusste in diesem Moment, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte.
    In dieser Familie schien jeder ein Geheimnis zu haben, welches er nicht mit den anderen teilen wollte. Wohin sollte das noch führen? Sie mussten doch zusammenhalten, wenn sie diese schwere Zeit überstehen wollten! Ragnhild wurde angst und bange ums Herz.

TEIL II
    Hamburg und die Riepenburg
Sommer, im Jahre des Herrn 1291

1
    Als es laut an die Tür klopfte, musste Ragnhild die Magd erst mit einem Ruf aus der Starre holen. »Johanna, wach auf. Es hat geklopft.«
    Die Stumme raffte erschrocken die Röcke und hastete geschwind zur Tür. Genau wie alle anderen im Haus befürchtete auch sie stets das Eintreffen erneuter schlechter Nachrichten. Schon ein Pochen an der Tür reichte aus, um sie vor Schreck erstarren zu lassen. Mit sichtlicher Mühe nahm sich die Magd zusammen und öffnete. Die Tür war noch nicht ganz auf, da begann der Junge dahinter auch schon zu sprechen.
    »Dies ist eine Nachricht für den Herrn des Hauses. Überbringe sie schnell, sie kommt vom Bürgermeister Willekin Aios.« Dann war der Bote auch schon wieder verschwunden.
    Johanna schloss die Tür hinter ihm und machte sich auf den Weg zu Ragnhild. Sie betrachtete den ordentlich versiegelten Brief und fragte sich, wem sie diese Nachricht überbringen sollte, jetzt, da Albert fort war.
    Glücklicherweise nahm Ragnhild ihr die Entscheidung ab. Sie hatte die Worte des Boten gehört, riss der Magd das Pergament mit einer schnellen Bewegung aus der Hand und stürmte los. Für sie war klar, für wen das Schreiben bestimmt war: Walther war von Albert in Willekin Aios’ Gegenwart als ihr Vormund bestimmt worden und galt darum nun als Herr über diese Familie. Die Nachricht konnte nur für ihn sein.
    »Walther, soeben ist ein Brief eingetroffen! Er stammt vom Bürgermeister!«, rief Ragnhild atemlos vom Laufen.
    »Vom Bürgermeister? Was mag da wohl drinstehen?«, fragte er verwundert.
    »Nun öffne ihn schon«, drängelte Ragnhild ohne jede weibliche Zurückhaltung und begann fahrig ihre Hände zu kneten.
    Ihr Schwiegersohn brach das Siegel und überflog die Zeilen. Dann schaute er auf und sagte: »Ich soll umgehend ins Rathaus kommen.«
    Ohne weiter über den Grund dieser unerwarteten Aufforderung nachzusinnen, brachte Ragnhild Walther zur Tür und entließ ihn mit besorgtem Blick. Einen Willekin Aios sollte man besser nicht warten lassen.
    Auf dem Weg zum Rathaus überschlugen sich Walthers Gedanken. Was konnte nur so dringend sein, dass man ihn dafür extra ins Rathaus befahl? Eines war klar: Um ihn konnte es nicht gehen, war er doch nur ein einfacher Nuncius. Vielmehr würde es sich wohl um eine Angelegenheit handeln, die er als Alberts Vertreter zu regeln hatte. Obwohl Walther wusste, dass es keinen Zweck hatte, weiter nachzugrübeln, beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Tief im Innern wusste er, dass es für die von Holdenstedes derzeit keine guten Nachrichten geben konnte.
    »Ah, da seid Ihr ja, von Sandstedt. Setzt Euch«, forderte Willekin Aios den eben Eingetroffenen auf.
    Walther folgte seinem Geheiß, nachdem er alle Männer entsprechend ihres Standes begrüßt hatte. Neben dem Bürgermeister waren noch Hereward von Rokesberghe, Reyner von Wunsdorp und Conrad Salsnak anwesend.
    »Nun gut«, begann der Bürgermeister etwas zögerlich. »Sicher seid Ihr über meine Aufforderung verwundert, aber ich will Euch nicht länger im Ungewissen lassen, Walther von Sandstedt. Da Albert von Holdenstede Euch in meinem Beisein zu seinem Vertreter ernannt hat, bleibt mir hier und jetzt nichts anderes übrig, als Euch die Nachricht zu überbringen, die es heute eigentlich Albert von Holdenstede mitzuteilen gegolten hätte. Hereward, bitte …«, übergab Willekin Aios dem Kaufmann das Wort.
    Der Angesprochene wandte seinen Kopf in Walthers Richtung und sah ihn an wie etwas, vor dem man sich ekeln musste. Aus

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