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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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tadelnde Geistliche ständig um sie herum war? Was konnte nur in ihre Mutter gefahren sein? Dann jedoch fiel ihr schlagartig ein, dass sie mit Ragnhild nie über die abscheulichen Taten des Priesters geredet hatte. Ihre Mutter konnte also gar nicht wissen, wie sie oder Walther zu ihm standen, lebte sie doch nicht einmal unter einem Dach mit ihm.
    Der Geistliche tupfte sich zunächst mit dem Tischtuch den Mund ab, dann setzte er ein fast schon siegreiches Lächeln auf und erwiderte kriecherisch: »Gute Frau und liebe Verwandte, wenn es denn der Wunsch der Hausherrin ist, dann wird es mir eine Freude sein.«
    In diesem Moment ließ Walther sein Messer auf den Tisch fallen. »Nein. Das ist nicht nötig«, entschied er streng. »Runa, du wirst weiterhin die Beichte ablegen, wie es alle tun – in einer Kirche.« Die Augen auf Ragnhild gerichtet fügte er etwas versöhnlicher hinzu: »Bitte verzeih, dass ich deinen Vorschlag ablehnen muss, Ragnhild.« Walther konnte sehen, wie erstaunt seine Schwiegermutter über sein Verhalten war. Er hoffte inständig, sie würde sich mit seiner Weisung zufriedengeben – auch wenn sie nicht verstehen konnte, warum er ihren Vorschlag ablehnte.
    Runa war überaus dankbar für den Einwurf ihres Gemahls und machte nicht die geringsten Anstalten, ihm zu widersprechen. Gespielt züchtig senkte sie den Kopf.
    Ragnhild dagegen gab sich nicht so leicht geschlagen: Sie konnte sich nicht erklären, was an dieser Idee auszusetzen war. Falscher Stolz eines Ehemannes war in dieser Lage fehl am Platze. Um einen angemessenen Ton bemüht wandte sie ein: »Walther, handle nicht vorschnell. Willst du etwa, dass Runa noch einmal zusammenbricht? In ihrem Zustand ist der Weg in die Kirche ohnehin schwerlich zu meistern, und zudem ist er in diesen schwierigen Zeiten für uns alle auch noch gefährlich.«
    Der Getadelte zögerte. Was sollte er darauf erwidern? Natürlich sorgte er sich um Runa, doch Ragnhild konnte nicht wissen, dass Everard fleißig dabei war, die Macht in Walthers Haus an sich zu reißen. Sie ahnte ja nicht, zu was sein geistlicher Ziehvater fähig war!
    Nun mischte sich auch noch Godeke ein, der die Meinung seiner Mutter teilte. »Mutter hat recht, Walther. Es ist eine gute Lösung für uns alle.«
    Und so blieb Walther nichts anderes übrig, als zustimmend zu nicken.
    Als die Entscheidung gefallen war, ergriff der Geistliche das Wort. Mit plötzlich kalten Augen und herrischer Stimme verkündete er: »Nun, da auch mein Ziehsohn mit meiner Stellung als Beichtvater der Familie einverstanden ist, werde ich euch mitteilen, was ich erwarte. Ein jeder Mann und eine jede Frau in diesem Hause wird zweimal in der Woche zur Beichte kommen. Für diese Zwecke sollte mir eine eigene Kammer zur Verfügung gestellt werden, wo ich dieses heilige Sakrament vollziehen kann. Ich denke, diese steht mir jetzt wohl zu.«
    Ragnhild nickte, erschrocken über den herrschsüchtigen Ton, den der Kirchenmann anschlug. Augenblicklich fragte sie sich, ob sie das Richtige getan hatte.
    Freyja hatte das Gespräch aufmerksam verfolgt. Sie verstand zwar nicht genau, warum Vater wollte, dass ihre Mutter in die Kirche ging, und ihre Großmutter dagegen war, aber das war auch nicht wichtig. Obwohl sie sehr wohl wusste, dass sie bei Tisch nicht unaufgefordert reden durfte und schon gar nicht, wenn Ältere miteinander sprachen, überwog ihre Überzeugung, dass ihr Vorschlag gut genug war, um eine Ausnahme zu rechtfertigen. Und so nahm sie all ihren Mut zusammen und stieß abrupt hervor: »Aber Vater, wenn Mutter nicht mehr laufen kann, dann kann doch Johann sie mit seinem Pferdewagen dorthin fahren. Genauso wie letztens.«
    Alle Köpfe drehten sich dem Mädchen zu, das augenblicklich begriff, dass es besser gewesen wäre, wenn es den Mund gehalten hätte.
    Doch anstatt Freyja wegen ihres vorwitzigen Verhaltens zu tadeln, fragte Walther seine Tochter mit bebender Stimme: »Woher kennst du den Namen des Mannes in dem Wagen?«
    Freyja fühlte sich unwohl und rutschte auf ihrer Bank immer tiefer. Am liebsten wäre sie unter den Tisch gekrabbelt. Mit leiser Stimme, die fast nur noch ein Flüstern war, sagte sie: »Mutter hat den Mann während der Fahrt so genannt.«
    Walthers Gesicht wurde rot vor Zorn, doch er erwiderte nichts. Nur Runa und Ragnhild konnten wissen, was für eine Wirkung die Worte seiner Tochter auf ihn haben mussten. Kein Wort haben wir miteinander gesprochen , hatte Runa damals beteuert. Wie er bereits vermutet

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