Tochter des Ratsherrn
könne er seines Amtes walten, hatte er alle wissen lassen.
Doch statt der zuerst ausbedungenen zwei Beichten in der Woche forderte der Geistliche die Bewohner des Hauses nun weit häufiger auf, ihre Seelen zu erleichtern. Dies hatte zur Folge, dass man stets irgendjemanden im Hause Gebete murmeln hörte, die ihm als Buße für seine Sünden auferlegt worden waren. Es war ein seltsames Bild, doch niemand wagte Vater Everard den Gehorsam zu verweigern.
»Ich bin erschüttert zu sehen, dass du dich neben der Sünde des Zorns auch noch der Sünde des Hochmuts schuldig machst. Ist dir denn noch nicht in den Sinn gekommen, dass du selbst die Schuld an der Auflösung deiner Verlobung trägst?«
Entsetzt über die Worte des Priesters fuhr Margareta auf – ein grober Fehler, denn das ließ Vater Everard endgültig in Zorn geraten. »Senke gefälligst den Blick, du dreistes Frauenzimmer! Siehst du jetzt, was ich meine? Es ist kein Wunder, dass der edle Hereward von Rokesberghe dich verschmäht hat. Dir fehlt es an jedweden Tugenden, die eine züchtige Jungfrau zu einem guten Eheweib machen. Hast du etwa geglaubt, ich würde das nicht sehen? Jeden Tag in dieser Woche habe ich dich zu mir gerufen, um dir in meiner Geduld und Barmherzigkeit die Gelegenheit zu geben, deine Sünden selbst zu erkennen und zu beichten, doch du bist stur geblieben. Und nun siehst du, wohin dich deine Dummheit getrieben hat!«
Die lauten Worte des Geistlichen dröhnten durch die Kammer. Margaretas Hals war wie zugeschnürt, und die ersten Tränen der Verzweiflung rannen ihr über die glühenden Wangen. Sie konnte einfach nicht glauben, was ihre Ohren da vernahmen. Sie selbst sollte die Schuld an der Auflösung ihrer Verlobung tragen? Konnte das sein? In der Tat hatte sie nie darüber nachgedacht, ob sie womöglich etwas falsch gemacht und so ihr eigenes Schicksal beeinflusst hatte. Lag es an ihrer Freude über die eifersüchtigen Blicke der anderen Frauen oder aber an ihrem frevelhaften Wunsch, am Tage ihrer Hochzeit besonders hübsch auszusehen? Tatsächlich, schoss es ihr durch den Kopf. Sie war hochmütig. Mit einem Mal standen ihr all ihre Sünden so deutlich vor Augen, dass sie sich fragte, wie sie sie jemals hatte übersehen können. Vater Everard hatte recht mit dem, was er sagte. Doch ganz gleich, welcher ihrer vielen Fehler es auch gewesen war, der letztendlich Gottes Missfallen erregt hatte: Sie wollte Buße tun, um Vergebung zu erlangen. Mit einem lauten Schluchzen warf sie sich vor ihrem Beichtvater nieder und drückte ihre Stirn auf den Boden. »Vater, ich war so dumm, so blind. Ich bitte Euch ehrfürchtig, helft mir, meine Sünden zu erkennen und zu bereuen.«
Der Priester lächelte zufrieden und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Einen Moment lang genoss er seinen Erfolg und betrachtete den bebenden Rücken der weinenden Jungfrau. Dann breitete er die Hände aus und sprach: »Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.« Vater Everard hob seine Hand und zeichnete über der Beichtenden ein unsichtbares Kreuz in die Luft.
»Amen«, sagte Margareta voller Inbrunst und bekreuzigte sich. Sie war so erleichtert ob der Vergebung ihrer Sünden, dass sie sich vornahm, doppelt so viele Gebete zu sprechen, wie ihr Vater Everard gleich auftragen würde.
Meine liebe und teure Freundin Hildegard, schrieb Ragnhild. All meine guten Wünsche vorweg. Ich hoffe, dass es dir wohl ergangen ist, seitdem wir uns das letzte Mal von Angesicht zu Angesicht gesehen haben. Ich weiß nicht, ob dich die schreckliche Kunde schon erreicht hat. Sie haben Albert geholt und ins Einlager auf die Riepenburg gebracht. Mein Haus gleicht seither einem Verlies, welches ich kaum mehr zu verlassen wage. Darum sei mir bitte mein selbstsüchtiger Wunsch verziehen, ein liebes Wort an eine letzte mir noch verbliebene Freundin zu richten – es dürstet mich nach Trost. Doch damit nicht genug. Ich schäme mich, dir so unverfroren meine Wünsche darzulegen, doch die Not treibt mich dazu. Um Albert aus dem Einlager zu befreien, wird es womöglich nötig sein, all unser Hab und Gut zu verpfänden. Wenn Gott uns gnädig ist, bleibt uns hinterher noch genug zum Leben, doch das ist
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