Tochter des Ratsherrn
nicht sicher. Vor zwei Wochen wurde außerdem die Verlobung zwischen Margareta und Hereward von Rokesberghe aufgelöst. Und sosehr es mich auch schmerzt, es einzugestehen: Man will uns Böses in der Stadt. Ich fürchte mittlerweile um die Sicherheit meiner Kinder, liebste Hildegard. Auch wenn unser Herrgott auf seinen unergründlichen Wegen dir selbst keine Kinder geschenkt hat, weiß ich, dass du die meinen liebst, als wären sie die deinen. Sicher kannst du bereits erahnen, worum ich dich nun bitten werde, und ich hoffe zutiefst, dass du mir meine Bitte gewährst und mir gleichzeitig meinen dreisten Wunsch verzeihst …
Ragnhild schaute von ihrem Brief auf, als sie hörte, wie leise die Tür zu ihrer Schlafkammer geöffnet wurde. Runa steckte den Kopf zur Tür hinein. »Mutter, störe ich dich?«
»Nein, komm nur herein.«
Runa trat in die Kammer und schloss auffällig leise die Tür hinter sich.
Ragnhild fragte gar nicht erst, warum ihre Tochter umherschlich wie ein Dieb in der Nacht. Ihr war klar, dass sie nicht von Vater Everard entdeckt werden wollte. Vermutlich war das auch der Grund ihres Besuchs – war doch die Schlafkammer des Hausherrn und seiner Gemahlin der einzige Raum im Haus, den der Geistliche nicht einfach betrat, ohne vorher anzuklopfen.
»Du schreibst einen Brief?«, fragte Runa, ließ sich auf der Truhe ihrer Mutter nieder und strich nun bedächtig über ihren runden Bauch.
»Ja. An Hildegard von Horborg«, antwortete Ragnhild knapp und wandte sich wieder dem Gänsekiel in ihrem Tintenfässchen zu. Eine ganze Weile war bloß das Kratzen auf dem Pergament zu hören. Ragnhild wollte sich von Runas Besuch nicht ablenken lassen, doch seitdem sie eingetreten war, gelang es ihr einfach nicht mehr, sich auf die Zeilen zu konzentrieren. Die Gelegenheit war günstig, und auch wenn sie sich eigentlich nicht in Runas und Walthers Ehe einmischen wollte, konnte Ragnhild nun nicht mehr länger an sich halten. »Runa, ich möchte mit dir über etwas reden.«
Die Angesprochene hob den Blick. »Hat es mit deinem Brief zu tun?«
»Nein. Es geht um … um dich.«
Die Schwangere legte fragend ihre Stirn in Falten. Sie spürte, dass das kommende Gespräch nicht angenehm für sie verlaufen würde. Dennoch sagte sie: »Jetzt bin ich aber gespannt, Mutter.«
Ragnhild atmete tief ein. »Du musst mir versprechen, dass du dort sitzen bleibst, bis wir unsere Unterhaltung beendet haben.«
»Gut, ich verspreche es.«
Ragnhild legte ihre Schreibfeder in das Futteral und rutschte fahrig auf ihrem Schemel hin und her, bevor sie begann. »An dem Tag, an dem du auf der Straße zusammengebrochen bist, habe ich dich und Walther ungewollt belauscht. Ich wollte euch damals eigentlich von Alberts Ausschluss aus dem Rat berichten, doch dazu kam es nicht mehr.«
»Du hast gelauscht, Mutter?«, fragte Runa entrüstet und schüttelte den Kopf. »Was genau hast du vernommen?«
»Als ich euch streiten hörte, bin ich wieder gegangen, doch ich habe noch mitbekommen, dass es um Johann Schinkel ging.«
Aus Runas Gesicht wich alle Farbe. Beschämt senkte sie den Blick. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, etwas abzustreiten, denn der Ausdruck im Gesicht ihrer Mutter ließ erkennen, dass sie ohnehin alles wusste.
Doch so qualvoll dieser Moment auch für sie beide war, Ragnhild hatte offensichtlich nicht vor, ihre Tochter zu schonen. »Was ist damals geschehen, Runa? Ich will, dass du mir alles ganz genau erzählst.«
Doch Runa reagierte nicht, starrte bloß weiter mit blassen Wangen zu Boden.
»Sieh mich an!« Ragnhilds Tonfall veränderte sich. In diesem Moment waren sie wieder Mutter und Tochter – ungeachtet dessen, dass die Tochter bereits erwachsen war.
Runa holte tief Luft, dann sah sie ihre Mutter an und begann zu sprechen. »Ich kann dir nicht sagen, wie genau es dazu kommen konnte. Irgendwann hat er mich angesprochen, und wir haben uns unterhalten – heimlich natürlich. Später dann haben wir uns unbemerkt getroffen.«
»Großer Gott«, entfuhr es Ragnhild leise, die bis zu diesem Geständnis die Hoffnung gehegt hatte, das Ganze sei nur ein Missverständnis. »Wo, um Himmels willen, haben eure Treffen denn stattgefunden?«
»In einem kleinen Haus. Es lag recht versteckt, und kaum jemand wusste, dass es ihm gehörte. Bei dem großen Brand wurde es zerstört.«
»In einem Haus? Ihr zwei allein ? Habt ihr … o Heilige Mutter Gottes … habt ihr euch dort versündigt?«, stieß Ragnhild entsetzt hervor.
»Ja«,
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