Tochter des Ratsherrn
würde? Vielleicht sogar manches Wort oder manche Tat bereute, die letztlich dazu geführt hatten, dass sie heute weder den einen noch den anderen Mann an ihrer Seite wusste? Oder war sie eher zornig auf Walther, weil sie von nun an in der Schande lebte, von ihrem Mann verstoßen worden zu sein?
Es quälte ihn, dass er weder jetzt noch irgendwann eine Antwort auf seine Fragen bekommen würde, denn er wünschte sich nichts mehr, als dass Runa eines Tages verstand. Obwohl es am Ende ganz gleich war, welche Gefühle seine Frau ihm gegenüber empfand, hatte er doch große Angst davor, dass sie ihn hasste.
3
Natürlich hatte sich das Wetter nicht gehalten. Kaum war Godeke von Hildegards Hof gerollt, begann es erneut heftig zu regnen. Die Wege weichten schneller auf, als er mit seinem schweren Wagen vorankam, und das Pferd hatte schon bald schwer zu ziehen. Godeke versuchte alles, um es anzutreiben. Er rief und schnalzte und schlug mit den Zügeln, doch irgendwann waren der Wille und die Kraft des Tieres aufgebraucht, sodass ihm nichts anderes übrig blieb, als vom Pferdewagen abzusteigen, um diesen nicht noch zusätzlich zu beschweren. Mannslänge um Mannslänge kämpfte er sich vor dem Pferd durch den Schlick und zerrte den erschöpften Gaul regelrecht hinter sich her.
Hätte es nicht geregnet, dann wäre es wohl sein Schweiß gewesen, der ihm jetzt in Strömen vom Gesicht floss. Eigentlich war es kein weiter Weg von Eppendorf nach Hamburg, doch bei dieser Geschwindigkeit würde er noch bis zum Abend brauchen. Wo der Pferdewagen gestern noch ein Segen gewesen war, erwies er sich heute als Hindernis. Es war zum Verrücktwerden. Dabei musste er doch schnell zu Runa; ihr galten all seine Gedanken. Wie mochte es ihr wohl gerade ergehen? War sie unverletzt? Wo war Walther, und wie sollten sie es anstellen, Runa aus dem Verlies zu befreien?
Schon vor ihrer Festnahme waren die meisten Ratsherren nicht mehr gewillt gewesen, die Mitglieder der Familie von Holdenstede bei sich zu empfangen. Mit wessen Hilfe konnten sie also jetzt noch rechnen, da man Runa für eine Hexe hielt? Godeke entschied, es zunächst beim Bürgermeister zu versuchen. Auch wenn Willekin Aios seiner Familie sicher ebenso befangen gegenüberstand, zwang ihn seine Amtspflicht dazu, Walther und ihn zumindest anzuhören.
Jeder von Godekes beschwerlichen Schritten wurde begleitet von ähnlich beschwerlichen Gedanken. Plötzlich jedoch hielt er inne. Wie aus dem Nichts war vor ihm eine Weggabelung erschienen. Da der Regen ihm unablässig ins Gesicht peitschte, hatte er eine ganze Zeit lang bloß auf den Boden gestarrt. Nun blieb er stehen und fragte sich, ob er auch auf dem Hinweg hier vorbeigekommen war. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Irgendwie sah für ihn alles um ihn herum gleich aus, und trotzdem musste er sich für einen Weg entscheiden.
Der Pfad zu seiner Linken war ähnlich schlammig wie der unter seinen Füßen. Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, dann musste das der Weg nach Hamburg sein. Der Weg zu seiner Rechten jedoch sah weit besser aus. Er war höher gelegen, sodass das Wasser an beiden Seiten abfließen konnte, außerdem wies er kaum welche der tiefen und tückischen Pfützen auf, die das Weiterkommen so sehr behinderten. Godeke war nicht in der Lage zu sagen, wohin genau der Weg zu seiner Rechten führte, doch ihm blieb keine andere Wahl, als ihn einzuschlagen. Mit etwas Glück konnte er die schlammigen Pfade so umgehen und gelangte trotz eines Umweges schneller ans Ziel.
Tatsächlich konnte Godeke den Bock des Pferdewagens nach einiger Zeit wieder erklimmen. Erleichtert bemerkte er, dass das Pferd jetzt wieder sicheren Tritt hatte und es schneller voranging. Auch wenn der Weg gerade breit genug für seinen Pferdewagen war und die Äste bedrohlich tief hingen, trieb Godeke sein Zugtier weiter an. Immer wieder wand sich der Pfad nach rechts oder links, was es zunehmend mühevoller machte zu bestimmen, in welcher Richtung Hamburg lag.
Je weiter sie kamen, desto mehr erhärtete sich Godekes Vermutung, dass hier schon seit ewig langer Zeit weder Tier noch Mensch mehr langgekommen war. Plötzlich hatte er das Gefühl, tiefer im Wald zu sein als je zuvor. Der Weg wurde noch enger, die Bäume um ihn herum noch dichter. Schon jetzt schlugen die hochgewachsenen Pflanzen fortwährend gegen die Unterseite des Wagens.
Hoffentlich kommt bald eine Abzweigung, betete Godeke stumm, während er das immer zögerlicher gehende Pferd mit
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