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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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Tages, wenn sie alt genug dafür sind, dass es mir leidtut.
    Walther von Sandstedt
    Die Hände des Geistlichen hatten beim Lesen angefangen zu zittern. Bei den letzten Sätzen bebten sie so heftig, dass er sie kaum noch entziffern konnte.
    Die Wahrheit schwappte über ihn wie die See über ein sinkendes Schiff. Es war ein Plan gewesen. Die Flucht war gar nicht auf die Verhaftung Runas hin erfolgt – der Zwischenfall hatte sie lediglich bei ihrer Flucht aufgehalten! Auch waren die Frauen und Kinder nicht, wie viele Hamburger behauptet hatten, davongeflogen oder mittels Hexenkraft untergetaucht – einen einfachen Pferdewagen hatten sie benutzt. Die Erkenntnis, dass die Familie von Holdenstede ihm tatsächlich zuvorgekommen war, machte den Kirchenmann so unermesslich zornig, dass er das Pergament in der Faust zerknüllte und einen wütenden Schrei ausstieß. Doch genauso schnell, wie er sich vergessen hatte, fing er sich auch wieder. Er atmete tief ein und aus und zwang sich zur Ruhe und zum Nachdenken. Dieser Brief durfte nicht in die falschen Hände geraten – bewies er doch, dass er gar nicht der großartige Hexenbezwinger war, für den man ihn nun hielt. Wenn die Bürger der Stadt diesen Brief zu Gesicht bekämen, zweifelten einige vielleicht auch daran, dass Runa von Sandstedt eine Hexe war. Das durfte nicht geschehen. Sein ganzes Werk würde damit zerstört werden.
    Vater Everards Gedanken rasten. Zutiefst verwirrt fasste er sich mit beiden Händen an die Schläfen. Wo mochten sich die Weiber jetzt bloß aufhalten? Immer wieder überflog er die Zeilen in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis darauf zu entdecken, doch Walther war schlau gewesen. Sein Brief enthielt nicht mehr Informationen als nötig. Es war einfach nicht herauszulesen, wo sich die einzelnen Familienmitglieder gerade befanden. Nur eines war klar: Walther wusste offensichtlich noch nichts von der Verhaftung seiner Frau. Er hatte geschrieben, er habe den Pferdewagen verlassen, bevor sie ihre Flucht antreten konnten, da er davon ausging, dass Godeke in der Lage war, die Frauen und Kinder allein in Sicherheit zu bringen. Falsch gedacht – schließlich hatte Godeke vergeblich versucht, ihn an der Anprangerung Runas zu hindern, schoss es Everard durch den Kopf. Wenn er nun richtig schlussfolgerte, hatte Walther zu dieser Zeit die Stadt bereits verlassen und war demnach völlig ahnungslos.
    Doch das Pergament enthielt eine weitere hochinteressante Information, die das Interesse des Geistlichen weckte. Irgendwo war ein Brief versteckt, der beweisen sollte, dass Albert im Tausch gegen sein Kaufmannshaus aus dem Einlager freikommen würde. Wo könnte sich dieser Brief befinden? Der einzige Hinweis darauf war ein Satz, der eigentlich gar nichts besagte. Den Brief habe ich da versteckt, wo wir es stets beliebt haben, unsere geheimen Briefe zu verstecken. Wo mochte das sein? Der Geistliche nahm sich vor, jetzt gleich danach zu suchen. Wenn nötig würde er jedes Staubkorn in diesem Hause umdrehen, denn sollte er den Brief finden, bevor Godeke ihn in die Hände bekam, konnte er ihn womöglich vernichten und somit verhindern, dass Albert je wieder hier in der Stadt auftauchte.
    Er ließ das Papier achtlos zu Boden gleiten und trat mit einem gierigen Glanz in den Augen an die Bettstatt heran. Ein einziger Ruck genügte, um diese von ihren Laken zu befreien. Hier würde er beginnen, jeden Winkel in dieser Kammer aufs Gründlichste zu durchforsten.
    Der nächtliche Regen hatte Walther bis auf die Knochen durchnässt. Erst Stunden später war seine Kleidung wieder getrocknet, und obwohl die Sonne sich mittlerweile wieder zwischen den Wolken blicken ließ, gaben seine Stiefel bei jedem Schritt ein patschendes Geräusch von sich, welches ihn stets daran erinnerte, dass sie fingerbreit mit Wasser gefüllt waren.
    Doch er hatte keine Gelegenheit, seine Stiefel zu trocknen. Immer wieder musste er einen Bach oder Fluss durchqueren, sodass das Leder aufs Neue durchweicht wurde. Schmerzhaft spürte er mittlerweile, wie sich die ersten Blasen an seinen Füßen durch die stetige Reibung öffneten. Dennoch folgte er mit voller Absicht dem unwegsamen Pfad durch den Wald, welcher eigentlich gar keiner war. Bewusst mied er den üblichen und weit leichter zu bestreitenden Weg nach Norden und wich, wo immer sich die Gelegenheit dazu bot, von der breiten Straße ab, um niemandem aufzufallen. Das Stapfen durchs Dickicht hatte jedoch unangenehme Folgen: Schon bald machte sich ein

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