Tochter des Ratsherrn
leisem Schnalzen vorwärtstrieb. Möglicherweise war es doch ein Fehler gewesen, hier entlangzufahren. Doch zum Umdrehen fehlte eindeutig der Platz. Sein Unbehagen wuchs stetig. Während er mit einer Hand fest die Zügel umklammert hielt, tastete er mit der anderen nach seinem Messer. Es war noch immer genau dort, wo er es am Morgen befestigt hatte.
Der Regen hatte nachgelassen. Im Wald herrschte eine eigenartige Stille. Obwohl Godeke es hasste, nass bis auf die Haut zu werden, stellte er fest, dass das gleichmäßige, alles übertönende Prasseln etwas Beruhigendes gehabt hatte. Nun war er gezwungen, bei jedem Knacken deutlicher hinzuhören. Eigenartigerweise schien es seinem Pferd genauso zu gehen. Seitdem es nicht mehr regnete, spitzte es die Ohren und ließ sie abwechselnd nach vorne und nach hinten schnellen.
Zwei weitere Stunden vergingen auf diese Weise, ohne dass sich etwas an der Beschaffenheit des Weges änderte oder sich gar eine Abzweigung bot. Mittlerweile wusste Godeke mit Gewissheit, dass er den falschen Weg gewählt hatte. Nur Gott konnte sagen, ob dieser einsame Pfad tatsächlich irgendwohin führte, doch ganz sicher würde er ihn nicht nach Hamburg bringen.
Godeke war der Verzweiflung nahe. Seine falsche Entscheidung kostete ihn wertvolle Zeit. Zeit, die Runa nicht hatte! Alles, was er jetzt noch wollte, war, eine Lichtung oder eine Gabelung zu finden, auf der er endlich den Wagen wenden konnte.
Jede uneinsichtige Kurve erfüllte Godeke mit neuer Hoffnung, dahinter vielleicht die ersehnte Schneise zu finden, doch jedes Mal wurde er wieder enttäuscht. Eine weitere Stunde später verwandelte sich seine Enttäuschung in Wut, dann in Verzweiflung und schließlich in Entmutigung. Wie hatte er nur so töricht sein können, einen ihm unbekannten Weg einzuschlagen? Selbst wenn sich jetzt eine Gelegenheit böte zu wenden, wäre es nicht einmal gesagt, dass er die Stadttore noch vor der abendlichen Schließung erreichen würde. Bereits zur Mittagsstunde hatte er seine Wasservorräte aufgebraucht. Nun litt er auch noch Hunger und Durst. Und gerade als er sich damit zu beruhigen versuchte, dass es nun nicht mehr schlimmer kommen konnte, blieb das Pferd vor einem umgestürzten Baumstamm stehen.
Godeke konnte es nicht fassen. Verzweifelt vergrub er das Gesicht in den Händen. Er war gefangen. Es gab kein Vor und kein Zurück mehr. Womit hatte er das nur verdient? Kopfschüttelnd richtete er sich wieder auf und starrte zornig auf das Hindernis. Doch was hatte es für einen Sinn zu jammern und zu klagen? Es würde nichts an seiner Situation ändern.
Darum stieg er vom Wagen und fasste den Baumstamm näher ins Auge. Schon auf den ersten Blick konnte er erkennen, dass er ihn ohne Hilfe niemals würde von der Stelle bewegen können. Auch war es unmöglich, das Pferd davorzuspannen, denn der Stamm war an beiden Enden zwischen anderen Bäumen verkeilt. Godeke blieb nur noch eine einzige Möglichkeit: Er musste das Pferd ausspannen, die Zügel mit seinem Messer kürzen, sodass er es von seinem Rücken aus lenken konnte, und den Wagen hier zurücklassen. Der arme Bauer würde wahrscheinlich versuchen, ihn mit seiner Mistgabel aufzuspießen und an die Schweine zu verfüttern, wenn er ohne den Wagen zurückkam, aber das konnte Godeke nun nicht mehr ändern. Fast erleichtert darüber, dass ihm jetzt nur noch eine Möglichkeit blieb und ihm somit jede Entscheidung abgenommen war, wollte er sich gerade ans Werk machen, als er plötzlich etwas entdeckte.
Der Baum – etwas daran war seltsam. Godeke schaute genauer hin. Dann traf es ihn wie einen Schlag: An seinem Stumpf waren eindeutige Spuren einer Axt zu sehen. Dieser Baum war gar nicht in einem Sturm gefallen. Man hatte ihn absichtlich gefällt, um Reisende wie ihn aufzuhalten. Wegelagerer!
Hastig ließ Godeke den Blick umherschweifen. Nichts war zu sehen. So schnell er konnte, stürzte er zu seinem Pferd. Er musste sich beeilen und so schnell wie möglich von hier verschwinden – am besten im gestreckten Galopp. Gesetzlose, die so tief im Wald lebten, hatten keinen Grund, Gefangene zu machen.
Mit behänden Griffen spannte er das Pferd aus. Dann umfasste er sein Messer und durchtrennte mit einem Schnitt den ersten Zügel. Noch während er das Pferd umrundete, warf er das abgeschnittene Ende über den Pferdehals. Nun musste er nur noch den zweiten Zügel zerschneiden und das Pferd durch den Wald auf den Weg zurückführen, da der Wagen die komplette Breite des
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